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Kapitel 7

Author: Alyssa J
Die Haushälterin schüttelte den Kopf: „Nein, sie ist nicht ein einziges Mal zurückgekommen.“

Axel runzelte die Stirn: „Es ist schon über eine Woche her. Morgen ist das Vollmondfest. Wie kann sie noch nicht zurück sein?“

Die Haushälterin, die seit bereits seit vielen Jahren für die Familie arbeitete und eine Schwäche für Ember hatte, antwortete kühl: „Das weiß ich auch nicht.“

Axel wollte ihr noch weitere Fragen stellen, aber Willow rollte ungeduldig mit den Augen, klammerte sich an seinen Arm und jammerte: „Sie kommt schon irgendwann zurück. Vergiss das jetzt einfach! Komm, schau dir das neue Buch an, das ich gekauft habe. Du kannst es mir heute Abend vorlesen.“

Axel war plötzlich irritiert.

Er erinnerte sich daran, wie Willow in der Karibik Embers Namen mit Verachtung ausgesprochen hatte.

Aber jetzt war es ihr offensichtlich egal, dass Ember bereits seit Tagen verschwunden war.

Wie viel Aufrichtigkeit steckte eigentlich in ihrer ständigen Verwendung des Wortes „Schwesterherz“?

Die Haushälterin wandte sich wieder der Küche zu und murmelte: „Wenn Sie sich nicht mehr um die junge Dame kümmern, warum fragen Sie dann überhaupt?“

Ihre Worte durchbohrten Axels Herz wie ein unsichtbarer Dorn.

Willow murmelte leise: „Sie ist eine erwachsene Frau, sie wird sich schon nicht verlaufen.“

Wie aus dem Nichts stieg Wut in ihm auf und Axel schüttelte heftig die Hand ab, die sich an ihn klammerte. Mit einem eiskalten Gesichtsausdruck ging er dann direkt nach oben.

Hinter ihm jammerte Willow dramatisch: „Bruderherz, habe ich etwas Falsches gesagt? Willst du mir nicht mehr aus meinem neuen Buch vorlesen?“

Axel drehte sich nicht um, sondern sagte nur kalt: „Du bist in der sechsten Klasse. Kannst du nicht selbst lesen?“

Willow begann sofort, gekränkt zu weinen. Früher hätte Axel sich sicherlich umgedreht, um sie zu trösten. Wann immer geweint hatte, hatte er ihr jeden Wunsch erfüllt. Denn er hatte immer gedacht, dass er seine Eltern und den Krieger, der versucht hatte, sie zu retten, im Stich lassen würde, wenn er sich nicht gut um Willow kümmerte.

Aber das alles war nun bereits vier Jahre her. Vier Jahre.

Er hatte Willow jeden Wunsch erfüllt, ihr extreme Fürsorge entgegengebracht und war überzeugt gewesen, dass er das Richtige tat für den Krieger, der bei dem Versuch, seine Eltern zu retten, in den Flammen umgekommen war.

Aber was war mit Ember? Was war mit seiner eigenen Schwester?

Axel ging nach oben und blieb vor Embers Schlafzimmer stehen. Er stieß die Tür auf und stellte fest, dass das Zimmer völlig leer war.

Er ging hinein und sah sich um. Erst jetzt bemerkte er, dass sie so viele ihrer Sachen mitgenommen hatte.

Ein plötzliches Unbehagen stieg in ihm auf. Es fühlte sich wie unsichtbare, feine Ranken an, die langsam seinen Hals hinaufkrochen und ihm das Atmen erschwerten.

Er setzte sich auf das Sofa, schaltete sein Handy ein, scrollte hin und her, aber fand keine verpassten Anrufe oder Nachrichten von Ember. Auch in ihren sozialen Medien gab es keine Neuigkeiten. Überhaupt nichts.

Warum war sie noch nicht nach Hause gekommen?

Er scrollte wiederholt durch seine Kontaktliste, gab schließlich nach und rief Professor Brown an. Er war Embers Studienberater.

Der Anruf wurde schnell verbunden und die ruhige Stimme des Professors mittleren Alters war zu hören. Axel redete etwas um den heißen Brei herum und drehte sich eine Weile im Kreis.

Schließlich fragte er unbeholfen: „Hat Ember Ihnen in den letzten Tagen irgendwelche Probleme bereitet?“

Professor Browns Stimme klang verwirrt: „Ember? Wie könnte sie mir jetzt noch irgendwelche Probleme bereiten?“

Aus irgendeinem Grund begann Axels Schläfe plötzlich heftig zu pochen.

„Ist sie nicht mit Ihnen auf Forschungsreise? Sie ist noch nicht zurückgekommen, oder?“

Es folgte eine lange Stille, bevor die Stimme des Professors erneut erklang. Sie war schwer von unverhohlener Traurigkeit: „Axel, was für ein Scherz soll das sein? Ja, ich habe Ember dorthin begleitet, aber wie könnte sie mit mir zurückgekommen sein?“
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