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Kapitel 4

Author: Lilly B
Ich hielt mir den Mund zu, um nicht laut zu weinen, und verließ leise das Krankenzimmer. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte.

Der Countdown bis zu meinem Tod betrug noch einen Tag.

Ich wollte zum Meer und dort spazieren gehen. Aber es war zu weit weg, also würde das nicht funktionieren. Würde ich vielleicht schon bald sterben, obwohl die Zeit noch nicht gekommen war? Was sollte ich tun?

In meiner Benommenheit wählte ich eine Telefonnummer.

Als ich wieder zu mir kam, sah ich meine gute Freundin Heather, die von einem ausländischen Rudel angereist war.

Wir hatten uns an der Universität kennengelernt. Schon damals hatte sie Leo nicht gemocht. Sie fand, er sei meiner Liebe nicht würdig und definitiv nicht der Richtige für mich.

Ich hörte nicht nur nicht auf sie, sondern stritt mich auch noch so sehr mit ihr, dass sie nicht an meiner Abschlussfeier teilnahm.

Ich wusste, dass ich sie nicht hätte anrufen sollen. Aber ich hatte niemanden sonst mehr, dem ich vertrauen konnte.

„Wie konntest du dich nur so ruinieren? Du siehst ja aus, als ob du gleich stirbst. Wo ist denn dein Gefährte?“

„Hast du mir nicht erzählt, dass du mit deiner Familie glücklich bist? Du liegst hier fast im sterben, aber dein Gefährte oder dein Sohn sind nicht in Sicht. Wo sind sie?“

Während sie sprach, weinte sie. Ich trug ein Beatmungsgerät und lächelte sie an. Sie war immer noch so aufbrausend wie früher. Obwohl sie sich offensichtlich um mich sorgte, schrie sie so herum, dass man hätte meinen können, wir würden uns streiten.

„Wie konntest du dich überhaupt mit Silbermondkraut vergiften? Und warum hast du mir das nicht früher erzählt?“

Sie weinte so heftig, dass sie kaum noch sprechen konnte.

Ich wollte etwas erwidern, aber mein Mund ging nicht mehr auf. Am Ende meines Lebens konnte ich meine Lippen nicht mehr kontrollieren. Ich hob den Kopf und signalisierte ihr, sich meine Tasche anzusehen.

Sie holte den Vertrag aus der Tasche und als sie ihn las, weinte sie noch heftiger.

„Anna, ich werde nicht zulassen, dass du stirbst! Das werde ich nicht zulassen!“

Sie lag am Kopfende meines Bettes und weinte sich die Seele aus dem Leib.

Ich schaute auf die Uhr an der Wand. In zwei Stunden würde ich diese Welt verlassen. Plötzlich kam eine Nachricht auf meinem Handy an. Heather hob das Handy hoch, damit ich sie sehen konnte.

„Anna, du hast so viele Jahre gegen mich gekämpft, aber am Ende hast du doch verloren! Deine Eltern, dein Gefährte und dein Sohn gehören jetzt mir! Nach all den Jahren hast du endlich die Realität erkannt und weißt, dass du in den Augen deiner Eltern niemals mit mir mithalten kannst!“

Heather schimpfte wütend: „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schamlos ist!“

Früher hätte ich auf solche Provokationen reagiert, aber jetzt bereute ich einfach nur eine Sache: Ich bereute, dass ich meine Eltern dazu gebracht hatte, Jane aus dem Waisenhaus für Werwölfe zu adoptieren.

Damals war sie erst drei Jahre alt gewesen. Sie wurde von den anderen Kindern gemobbt, durfte nichts essen und musste hungrig in der Ecke kauern. Sie sah so mitleidserregend aus. Deshalb hatte ich meinen Vater dazu gebracht, sie zu adoptieren.

Wir schliefen zusammen, aßen zusammen, gingen zusammen zur Schule und standen uns sogar näher als leibliche Schwestern.

Sie lernte gut und war in der Schule sehr beliebt. Alle mochten sie und lobten sie. Ich war sehr stolz darauf, dass meine Schwester so hervorragend war.

Aber dann wollten meine guten Freundinnen aus mir unerklärlichen Gründen auf einmal nicht mehr mit mir spielen. Und auch die männlichen Klassenkameraden, mit denen ich zusammen das Jagen geübt hatte, wollten nicht mehr mit mir in einem Team sein.

Stattdessen umschwärmten sie alle Jane.

Auch meine Eltern sagten mir, ich sei nicht so aufmerksam und nicht so klug wie Jane. Sie überließen Jane das große Schlafzimmer in unserem neuen Haus und ich musste mich mit dem kleineren Schlafzimmer begnügen.

Aber ich merkte immer noch nicht, dass etwas nicht stimmte. Als ich schließlich begriff, dass Jane alle manipuliert hatte, hatte sie mir schon vieles genommen: die Liebe meiner Eltern, mein Hauptschlafzimmer und meine besten Freunde in der Schule.

Ich fragte sie, warum sie das getan hatte, und sie sagte: „Anna, glaub nicht, dass ich dir dankbar bin, weil du deinen Vater dazu gebracht hast, mich zu adoptieren! Warum hast du liebevolle Eltern und wohnst in einem großen Haus, während ich nur eine von ihren Eltern verlassene Waise bin? Ich werde dir alles wegnehmen! Du wirst auf jeden Fall gegen mich verlieren!“

Also beschloss ich, sie loszuwerden. Aber ich hatte meine Fähigkeiten überschätzt. Denn ich hatte es nicht geschafft, meiner Familie ihre Heuchelei vor Augen zu führen.

Meine Eltern liebten sie nur noch mehr und mein Sohn und Leo vertrauten ihr immer mehr.

Ich hatte tatsächlich alles verloren.

Ich spürte, wie meine Seele meinen Körper verließ. Ich hatte noch fünf Minuten Zeit.

„Anna, du darfst nicht sterben! Schau mal, deine Mutter hat dir eine Nachricht geschickt, sie muss gespürt haben, dass du in Gefahr bist.“ Heather zeigte mir das Handy, um mich davon abzuhalten, mein Leben so schnell aufzugeben.
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