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Die Reue meiner Brüder, nachdem ich sie verließ.
Die Reue meiner Brüder, nachdem ich sie verließ.
Author: Alyssa J

Kapitel 1

Author: Alyssa J
In der Nacht meiner ersten Verwandlung mit achtzehn Jahren brachten meine beiden älteren Brüder eine zwölfjährige verwaiste Omega mit nach Hause.

Mein Alpha-Bruder nahm mir die seltenen Heilkräuter weg, für die ich meine gesamten Ersparnisse ausgegeben hatte. Es waren Kräuter, die mir eigentlich meine erste Verwandlung erleichtern sollten. Aber er gab sie stattdessen ihr. „Du bist stark genug“, knurrte er. „Du brauchst solche kostbaren Kräuter nicht.“

Mein Beta-Bruder knurrte wütend und zeigte zur Tür. „Verschwinde! Komm nicht zurück!“

Ich sagte nichts mehr, schnappte mir nur meine gepackte Tasche und ging.

Sie nahmen an, ich würde nur einen Wutanfall haben und in ein paar Tagen zurückkommen.

Da sie nun endlich von meiner Anwesenheit befreit waren, nahmen meine Brüder das Waisenmädchen mit auf eine Reise in die Karibik. Von solch einer Reise hatte ich immer geträumt.

Als sie viele Tage später zum Rudel zurückkehrten, waren sie schockiert, als sie erfuhren, dass ich ein Angebot der Oberheilerin eines benachbarten Rudels angenommen hatte. Die Position erforderte fünfzehn Jahre isolierte Kräuterforschung.

Ich konnte nie wieder nach Hause zurückkehren.

In jener Nacht brachen sie zusammen.

Der Tag, an dem ich das Angebot der Oberheilerin annahm, war zufällig auch der Tag des Vollmondfestes. Dies war der heiligste Tag für Werwolf-Familien, um sich zu versammeln und gemeinsam zu feiern.

Meine Mentorin begleitete mich zur Tür der Heilungskammern und gab mir mit sanfter Stimme einen letzten Rat: „In fünf Tagen beginnst du deine fünfzehnjährige Isolation, Ember. Vergiss nicht, dich ordentlich von deiner Familie zu verabschieden!“

Hier in den nördlichen Gebieten war es immer kalt. Ich stand gefühlt stundenlang an der Straßenecke und fasste schließlich genug Mut, um zu versuchen, mich mental mit meinen Brüdern zu verbinden.

Es überraschte mich nicht, dass sie unsere gemeinsame Gedankenverbindung längst blockiert hatten.

Mit einem Seufzen holte ich mein Handy heraus und rief meinen Alpha-Bruder Ryker an. Zwanzig Jahre als Geschwister sollten doch etwas zählen.

Egal, wie schlimm die Dinge zwischen uns geworden waren, wir verdienten ein letztes gemeinsames Essen.

Er drückte meine Anrufe allerdings wiederholt weg, bevor er schließlich sein Handy komplett ausschaltete.

Ich schluckte meinen Stolz hinunter und wählte die Nummer meines Beta-Bruders Axel.

Er nahm nach einer gefühlten Ewigkeit des Klingelns den Anruf entgegen, als würde er mir einen großen Gefallen tun.

Aus Angst, er könnte direkt wieder auflegen, sprach ich schnell: „Heute ist das Vollmondfest. Könnten wir, ähm, könnten wir zu Hause gemeinsam feiern?“

Es herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Also fügte ich vorsichtig hinzu: „Ich habe bereits Geschenke für alle gekauft. Ich habe sogar ein Mondgöttinnenkleid für Willow gefunden. Das passt genau zu ihrem Stil.“

Willow war das Omega-Waisenkind, das meine Brüder adoptiert hatten.

Axels Stimme klang kalt und ungeduldig: „Dank dir ist Willow noch nicht einmal aus dem Krankenhaus entlassen worden. Wir sind alle hier und kümmern uns um sie. Wie kannst du es da wagen, vom Vollmondfest zu sprechen?“

Ich tat so, als würde ich den Ekel in seiner Stimme nicht hören: „Dann könnte ich die Geschenke auch einfach ins Krankenhaus bringen. Wir könnten dort feiern, während wir uns um sie kümmern. Würde das gehen?“

Ich hatte noch nie so gebettelt. Seit Willow zu uns gekommen war, hatten Ryker, Axel und ich jahrelang ständig gestritten. Doch selbst während unserer schlimmsten Streitereien hatte ich mich nie so unterwürfig gegeben.

Aber dieses Mal war es anders.

Dies würde eine extrem lange Trennung sein. Wer konnte schon wissen, wann oder ob wir uns jemals wiedersehen würden?

Axel schwieg. Nach einer unangenehmen Pause löste Willows süße, kindliche Stimme die Spannung: „Ich möchte das Mondgöttinnenkleid.“

Ich antwortete sofort: „Ich bringe es dir sofort vorbei!“

Aus Angst, sie könnten es erneut ablehnen, beendete ich schnell das Gespräch.

Nach dem Anruf machte ich einen Umweg zum Einkaufszentrum, um die Geschenke abzuholen, die ich vorbestellt hatte. Im Laufe der Jahre hatte ich hart gearbeitet und 150.000 Euro gespart. Jeden einzelnen Cent hatte ich nun für diese Geschenke ausgegeben.

Für Ryker, meinen Alpha-Bruder, kaufte ich einen kostbaren Heilkristall. Als Krieger des Rudels war er anfällig für Verletzungen. Für Axel, meinen Beta-Bruder, fand ich ein altes Zauberbuch, das er sich für seine Magie-Studien gewünscht hatte.

Und dann war da ja auch noch das Mondgöttinnenkleid für Willow. Ich hatte mir schon immer ein solches Kleid gewünscht, hatte es mir aber nie leisten können.

Heute würde ich es Willow schenken. Dies war mein letztes Vollmondfest mit meinen Brüdern und ich wollte, dass sie glücklich waren.

Nachdem ich alle Geschenke besorgt hatte, eilte ich zum Krankenhaus.

Im Krankenzimmer stand nur ein kleiner Tisch, an dem gerade einmal drei Personen Platz fanden.

Axel blickte zu mir hoch, als ich eintrat.

Bevor er etwas sagen konnte, schnappte ich mir einen kleinen Stuhl und setzte mich in die Nähe des raumhohen Fensters.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er kurz innehielt. Er war offenbar überrascht von meiner Handlung.

Aber seine Verwirrung hielt nur wenige Sekunden an.

Dann kehrte er schnell zu seiner Aufgabe zurück. Er half Willow, ihr neues Kleid anzuprobieren, und richtete den silbernen Stoff um ihre Schultern.

Die Krankenhausstühle waren hart. Ryker nahm ein Kissen und legte es Willow hinter den Rücken, um sie zu stützen.

Willow, die jung und aufgeregt war, wirbelte nun in ihrem Kleid herum, während ihr Gesicht vor Freude strahlte.

„Es ist so schön!“, rief sie und drehte sich zu schnell.

Ich konnte nicht anders, als zu ihnen hinüberzuschauen. Aber in jenem Moment stolperte Willow über den langen Saum des Kleides und taumelte mit einem leisen Schrei nach vorne.

Sofort eilte Ryker herbei, um sie aufzufangen, bevor sie zu Boden fiel. Auch Axel sprang auf und stützte sie mit seinen Händen an den Schultern.

„Sei vorsichtig!“, sagten sie gemeinsam und klangen besorgt.

Eine vertraute Szene spielte sich vor meinen Augen ab. Nur einmal, vor langer Zeit, war ich an Willows Stelle gewesen. In Erinnerungen versunken, vergaß ich, wegzuschauen.

Bis Axel, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Willow stabil war, meinen Blick spürte und aufblickte.

Seine Augen, die noch Sekunden zuvor vor Sorge um Willow ganz warm gewesen waren, wurden nun eiskalt, als sie meine trafen.

Ehrlich gesagt tat das mehr weh, als ich zugeben wollte.

Ich senkte hastig den Blick und stand auf, um meine Hilfe anzubieten.

„Lass mich den Saum kürzen! Er ist zu lang“, sagte ich und trat einen Schritt nach vorn.

Aber in meiner Eile stolperte ich über das Stuhlbein und fiel hart zu Boden, wobei ich mir die Handfläche am rauen Krankenhausboden aufschürfte.

„Was machst du da?“, knurrte Ryker. „Hast du ihr etwa absichtlich ein so langes Kleid gekauft? Du weißt doch, wie ungeschickt sie ist.“

Meine Worte blieben mir im Hals stecken. „Nein, ich ...“

„Das Kleid ist perfekt“, unterbrach Willow ihn. „Ich muss nur vorsichtiger sein.“

Ich rappelte mich auf und verzog das Gesicht vor Schmerz, als ich die aufgeschürfte Haut spürte.

Axel sah mich kalt an. „Willst du jetzt auch noch Mitleid erregen? Bist du wirklich so eifersüchtig, dass du nicht einmal mit ansehen kannst, wie wir Willow helfen, ohne eine Szene zu machen?“

Die Anschuldigung traf mich härter als der Sturz. Ich sagte nichts und stand dann schweigend von selbst vom Boden auf.

Blut tropfte von meiner Handfläche, aber ich versteckte sie hinter meinem Rücken.
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