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Kapitel 2

Author: Alyssa J
Das Krankenzimmer kehrte dann bald, ohne dass man mich beachtete, zu seiner fröhlichen Atmosphäre zurück.

Willow drehte sich vor dem Spiegel und bewunderte voller Freude ihr Mondgöttinnenkleid. Ihre Stimme klang aufgeregt. „Letzte Woche haben alle in meiner Klasse darüber gesprochen, wie schön die Karibik ist.

Wenn ich groß bin, möchte ich sie auch sehen. Ich werde dieses Kleid auf jeden Fall am Strand tragen!“

Axel streichelte ihr liebevoll den Kopf: „Warum warten, bis du groß bist? Das ist doch keine große Sache. Wir können dieses Jahr noch dorthin fliegen.“

Ryker lachte leise: „Perfektes Timing. Wir haben beide am Ende des Jahres frei. Wir nehmen dich mit.“

Ihre Unterhaltung verlief reibungslos, während sie ihre Reisepläne besprachen. Innerhalb einer halben Stunde hatten sie sogar schon die Flüge gebucht.

Willow jubelte und sprang vor Aufregung in die Arme von Axel und Ryker.

Nach einer Weile schien sie sich plötzlich daran zu erinnern, dass ich auch noch anwesend war. Sie neigte den Kopf und fragte mich: „Schwesterherz, willst du auch mitkommen?“

Ich erinnerte mich daran, dass ich Ryker und Axel von meiner Abreise erzählen musste. Das schien mir nun der perfekte Anlass zu sein.

„Ich kann leider nicht. In ein paar Tagen gehe ich zum Schattenrudel ...“

Axel unterbrach mich ungeduldig: „Das interessiert uns nicht. Du musst uns nichts davon erzählen.“

Die Worte: „Ich werde aber fünfzehn Jahre lang nicht zurückkommen“, blieben mir im Hals stecken. Ich schluckte sie einfach herunter.

Axel schien sich an etwas zu erinnern und sah mich kalt an: „Willow wird morgen das Krankenhaus verlassen. Nach ihrer Verletzung, die du verursacht hast, ist es nicht praktisch, woanders zu wohnen. Ich habe vor, die Haushälterin ein Gästezimmer vorbereiten zu lassen ...“

Bevor er zu Ende sprechen konnte, sagte ich leise: „Gib ihr mein Zimmer!“

Axel hielt mitten im Satz inne. Er schien zu glauben, er hätte sich verhört. Dann starrte er mich einen Moment lang ungläubig an. „Was?“

Nach einem Moment fassungsloser Stille runzelte auch Ryker die Stirn. Wahrscheinlich dachte er, ich wäre boshaft, denn sein Tonfall wurde gereizt: „Du musst dich nicht so aufführen. Ich weiß, dass du kleinkariert bist, aber sobald Willows Wunden verheilt sind, kann sie wieder in ihre eigene Wohnung zurückziehen.“

Ich sah sie ernst an: „Lasst sie einziehen. Sie ist jung und braucht Pflege. Es ist für euch beide unpraktisch, ständig hin und her zu laufen. Außerdem habe ich in den letzten Jahren nicht viel Zeit zu Hause verbracht. Das Hauptschlafzimmer würde besser zu ihr passen ...“

Dann gab es plötzlich einen lauten Knall.

Axel hatte seinen Essensbehälter auf den Couchtisch geworfen. Der plötzliche Lärm unterbrach meine Worte.

Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich, wahrscheinlich dachte er immer noch, ich würde nur Theater spielen.

Axel half Willow zurück ins Krankenhausbett, schnappte sich ein Bilderbuch und setzte sich neben sie, um ihr vorzulesen.

Wie schon unzählige Male in den letzten Jahren war ich wieder einmal die unbeholfene, unerwünschte Person geworden.

Ich stand auf und nahm meine Tasche vom Stuhl. Als ich sprach, tat mir der Hals weh: „Ich gehe.“

Aber niemand antwortete.

Plötzlich erinnerte ich mich an einen Tag vor vielen Jahren, an dem unsere Eltern bei einem Brand ums Leben gekommen waren.

Axel hatte mich mit vor Trauer blutroten Augen festgehalten und mit derselben sanften Stimme tröstend zu mir gesagt: „Du hast immer noch deine großen Brüder. Solange deine Brüder da sind, wirst du für immer unsere kleine Prinzessin sein.“

Lügner! Aus irgendeinem Grund brannten mir plötzlich die Augen vor unterdrückten Tränen.

Ich eilte noch an jenem Abend zurück zur Uni und ging direkt ins Labor, um ein Experiment zu beenden, an dem ich gearbeitet hatte.

Ich hatte nur noch sieben Tage lang Zeit. In diesen sieben Tagen musste ich noch alles in Nordstadt erledigen. Das betraf meine Studienangelegenheiten genauso wie auch meine persönlichen Angelegenheiten.

Ich arbeitete fast die ganze Nacht. Am nächsten Morgen kehrte ich nach einem kurzen Nickerchen nach Hause zurück.

Das Hauptschlafzimmer musste nun für Willow geräumt werden. Ein Omega half mir, meine Sachen ins Gästezimmer zu bringen und murrte empört: „Wann ist jemals die Erbin des Rudels ausgezogen, um einer Außenstehenden das Hauptschlafzimmer zu überlassen?“

Ich packte weiter meine Bücher und Kleidung in Koffer und antwortete: „Das ist schon in Ordnung. Ich werde sowieso nicht mehr lange hier bleiben.“

Hinter mir durchbrach plötzlich eine eisige Stimme die Stille: „Wo genau hast du denn vor, hinzugehen?“
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