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Kapitel 4

Author: Shiman
Kai hatte sein Versprechen gebrochen.

Er war nicht nach Hause zurückgekommen.

Tagelang war er nicht einmal aufgetaucht.

Ich erfuhr es nur durch ein Telefonat mit Linda – sie erwähnte beiläufig, dass Kai schon wieder auf Dienstreise sei.

Und natürlich hatte er Edith mitgenommen.

Aber das verschaffte mir immerhin mehr Zeit zum Packen.

Auf dem Kalender blieben noch sieben Tage.

An diesem Tag war ich gerade dabei, mein Gepäck für Kingstadt zusammenzustellen, als Linda plötzlich anrief.

„Yara, hast du die Lieferadresse für dein Paket vielleicht falsch angegeben?“

„Was für ein Paket?“

„Dein Brautkleid – das für dich und Kai! Es wurde an die Firma geliefert, du stehst als Empfängerin drauf. Kai hat wirklich alles aufgefahren. Ein maßgeschneidertes Kleid von AND – das kostet bestimmt siebenstellig! Hat er etwa all seine Ersparnisse dafür ausgegeben? Und nach der Hochzeit lebt ihr dann von Luft und Liebe?“

Ich fuhr zur Firma, öffnete das Paket – und war baff.

Die Maße stimmten tatsächlich.

Aber … das war nicht Kais Stil.

Unsere Firma hatte sich in den letzten Jahren gut entwickelt, aber nicht so gut, dass er leichtfertig so viel Geld für ein Kleid ausgeben würde.

Vor allem – ich bezweifelte stark, dass er je daran gedacht hatte, mich zu heiraten.

Während ich noch grübelte, rief meine Mutter an.

„Liebling, hast du das Kleid bekommen? Ach, die Familie Qualen ist ja so engagiert bei der Hochzeit von dir und Jonas! Kaum hatte ich gesagt, dass du in zwei Wochen zurückkommst, da haben sie sofort mit den Vorbereitungen angefangen.“

„Sogar das Kleid haben sie dir vorab geschickt, damit du schauen kannst, ob es dir gefällt und passt!“

Meine Mutter klang überglücklich – offenbar sehr zufrieden damit, wie ernst die Familie Qualen mich nahm.

Ich rieb mir die Schläfen.

„Mama, hast du die Adresse angegeben?“

„Natürlich! Oder hast du die Firma gewechselt?“

„Nein …“

Ich seufzte.

„Ich schicke dir gleich die neue Adresse. Alles Weitere bitte nur noch dorthin.“

„Na gut, na gut.“

Meine Mutter stimmte fröhlich zu.

„Ach ja, Frau Qualen wollte wissen, ob du irgendwelche Wünsche für die Hochzeit hast. Sie kümmert sich darum.“

„Ich habe keine Wünsche.“

Ich presste die Lippen zusammen.

„Ihr könnt das alles so gestalten, wie ihr wollt.“

„Hochzeit?“, ertönte plötzlich Kais Stimme hinter mir. „Welche Hochzeit?“

Mein Herz machte einen Sprung. Ich beendete schnell das Gespräch.

„Du bist zurück von der Dienstreise?“

„Ja.“

Er wich meinem Blick aus, sein Blick streifte das Kleid auf dem Sofa. Seine Stirn legte sich in Falten.

„Yara, ich hab dir doch gesagt, dass ich im Moment keine Zeit für eine Hochzeit habe. Kannst du aufhören, mich unter Druck zu setzen?“

Ich sah ihn ruhig an.

„Habe ich gesagt, dass du der Bräutigam bist?“

„Was soll das heißen?“

„Gar nichts.“

Ich zuckte die Schultern, packte das Kleid wieder ordentlich ein und wollte gehen.

Kai packte meinen Arm, seine Stimme wurde weich:

„Bist du sauer? Es tut mir leid, ich bin einfach nur erschöpft von der Reise. Verzeih mir, ja?“

„Hm.“

Ich nickte, ohne zu zögern.

Er traute dem Frieden nicht.

„Wirklich?“

„Wirklich.“

„Dann… behalten wir das Kleid erstmal, ja?“

Kai zögerte.

„Yara, gib mir noch ein wenig Zeit. Ich werde dich ganz sicher heiraten.“

Er wirkte, als hätte er Angst, ich würde ihn jetzt zwingen.

Ich musste schmunzeln.

„Was denkst du denn? Du hast doch gehört, wie ich telefoniert habe. Das Kleid gehört meiner Mitbewohnerin von der Uni. Sie hat versehentlich meine Adresse angegeben.“

Er atmete hörbar auf, kniff mir verspielt in die Wange.

„Du wolltest mich nur erschrecken, was?“

„Nimm es ruhig so.“

Er kannte meine drei Mitbewohnerinnen gut.

Wenn er noch ein Fünkchen Interesse an mir gehabt hätte, wäre ihm sofort eingefallen, dass sie alle längst verheiratet waren.

Er hatte mich zu jeder ihrer Hochzeiten begleitet.

Damals hatte er ständig von unserer Zukunft gesprochen.

Immer wenn wir eine Hochzeit besuchten, war er tief bewegt.

Wir hatten abgemacht, dass wir heiraten würden, sobald die Firma stabil lief.

Jetzt waren drei Jahre vergangen.

Und er hatte das Thema nie wieder angesprochen.

Eine Zeit lang dachte ich sogar, er hätte Angst vor der Ehe.

Aber heute wusste ich:

Er wollte heiraten – nur nicht mich.

Linda klopfte an und trat mit einem gequälten Lächeln ein.

„Ich will euch ja wirklich nicht stören, aber Kai, du musst gleich zur Vorstellung des neuen Designleiters.“

„Designleiter?“ Kai sah verwundert zu mir.

„Schaffst du es nicht mehr allein? Willst du Verstärkung?“

„Nein.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Kai, ich habe gekündigt.“

Seine Stirn zog sich zusammen.

„Du hast gekündigt? Ohne mit mir zu sprechen? Yara, wir stehen mitten in einer wichtigen Finanzierungsrunde! Das Designteam ist das Herzstück der Firma. Weißt du überhaupt, wie sehr ein Wechsel der Leitung das beeinflusst?!“

Plötzlich kam es mir vor, als hätte ich diesen Mann nie wirklich gekannt.

Ich hob den Blick.

„Und was willst du jetzt tun?“

„Ohne meine Unterschrift ist deine Kündigung nicht rechtskräftig.“

Kai seufzte.

„Du bist kein kleines Mädchen mehr. Sei nicht so kindisch. Komm morgen einfach wieder zur Arbeit.“

„Kai.“

Ich lächelte leise.

„Du hast längst unterschrieben.“

„Wenn du‘s nicht glaubst – Linda hat eine Kopie.“

Ich nahm das Brautkleid – und ging.
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