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Kapitel 3

Orange
An jenem Abend kam Dante nicht nach Hause, und ich rief auch nicht an, um nach ihm zu fragen.

Ich hatte bereits in Isobels sozialen Medien ihren neuesten Beitrag gesehen.

Nach dem Krankenhausbesuch am Nachmittag fuhren sie direkt zu ihr, um ihrer Familie von der Schwangerschaft zu berichten.

Auf dem Foto hielt Isobels Großmutter Dantes Hand und sprach liebevoll mit ihm, während er mit der anderen Hand sanft über Isobels Bauch strich – sein Lächeln war für mich ungewohnt zärtlich.

In unseren fünf Jahren als Paar war Dante nur einmal nach unserer Verlobung zu mir nach Hause gekommen.

Obwohl unsere Familien nur eine halbe Stunde entfernt wohnten, war er vorher nie von selbst zu mir gekommen.

Er sagte, er fühle sich in Gegenwart von Älteren unwohl.

Bei jenem Besuch war er nur höflich – ganz anders als die Wärme, die er auf den Fotos Isobels Familie entgegenbrachte.

Ich schloss die Augen, unterdrückte die aufsteigende Bitterkeit – und schaltete mein Handy aus.

Am nächsten Tag traf ich mich mit ein paar Freundinnen, um ihnen die Absage der Hochzeit mitzuteilen.

Dante hatte von Anfang an gesagt, er halte nichts von Hochzeiten – für ihn seien das bedeutungslose Rituale.

Nur auf mein Drängen hin hatte er schließlich einer kleinen Zeremonie zugestimmt – mit nur den engsten Freunden und Verwandten.

Alle wussten, wie sehr ich Dante liebte, und waren entsprechend bestürzt, als sie von der Absage erfuhren.

„Aber du liebst ihn doch schon so lange. Wieso gibst du jetzt plötzlich auf?“

Eine unbeschreibliche Bitterkeit stieg in mir auf.

Eine zwanzig Jahre lange Beziehung einfach zu beenden – das war alles andere als leicht.

Doch die Wahrheit war: Diese Beziehung war von Anfang an unausgeglichen.

Ich war es, die Dante immer hinterherlief.

Und er – er hatte nie innegehalten.

Damals machte es mir nichts aus.

Ich sagte mir, dass es genug sei, wenn er mir eines Tages das Jawort gäbe – dann würde ich auch irgendwann sein Herz gewinnen.

Ich war bereit zu warten – bis zu dem Tag, an dem er sich mir ganz öffnen würde.

Doch seit Isobel, seine sogenannte „Lebensretterin“, vor einem halben Jahr wieder in sein Leben trat, hatte sich alles verändert.

Ich erkannte endlich:

Dante war nicht zu allen so kalt und unnahbar.

Vor Isobel war er stets sanft, und sein Lächeln war immer großzügig und warm.

Ich hingegen war in seinem Leben immer nur die Nebenrolle.

Noch unerträglicher war: Er tat so, als wolle er meine Zustimmung, doch heimlich hatte er längst die künstliche Befruchtung durchführen lassen – und nun war Isobel schwanger.

In diesem Moment wusste ich:

Zwischen Dante und mir würde es keine Zukunft geben.

Ich verschwieg meinen Freundinnen die Wahrheit und sagte nur, ich würde künftig im Krankenhaus arbeiten und nur noch selten erreichbar sein.

Aus Schuldgefühl blieb ich den ganzen Abend bei ihnen – wir waren bis spät in die Nacht unterwegs.

Als ich nach Hause kam, war Dante gerade auch angekommen.

Er roch den Alkohol an mir, verzog das Gesicht, trat zurück und hielt sich die Hand vor Mund und Nase.

Seine Stimme klang ungeduldig: „Geh weg – ich will nicht, dass du mich nach Alkohol riechen lässt.“

Ich lächelte selbstironisch.

Er machte sich wohl Sorgen, der Geruch könnte Isobel stören.

Sie war ja schließlich jetzt schwanger.

Ich sagte nichts, drehte mich um und ging ins Bad.

Ich duschte ausgiebig, und als ich wieder ins Wohnzimmer kam, saß Dante auf dem Sofa, den Kopf über sein Handy gebeugt, sein Blick strahlte.

Er tippte ununterbrochen – mit einem Lächeln auf den Lippen.

Ich warf einen flüchtigen Blick auf ihn und wollte gerade ins Schlafzimmer gehen, als er mich plötzlich rief.

„Es gibt da etwas, das ich mit dir besprechen muss.“

Ich blieb abrupt stehen.

Das letzte Mal, als er das sagte, war vor einem Monat – als er vorschlug, mit Isobel ein Kind zu bekommen. Seitdem hatten wir einen Monat lang gestritten.

Und nun, da Isobel schon schwanger war – was wollte er da noch mit mir besprechen?
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