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Kapitel 3

Author: Alyssa J
Ich drehte mich um.

Axel stand plötzlich direkt hinter mir, ohne dass ich ihn hatte kommen hören.

Sein Gesichtsausdruck war eiskalt und sein Blick war auf meinen vollgepackten Koffer gerichtet.

Ryker lehnte an der Tür zum Schlafzimmer und sah mich mit einem ebenso eisigen Blick an.

Willow war ihnen gefolgt und starrte schweigend auf mein Gepäck.

Die kaum verhüllte Vorfreude in ihren Augen war unübersehbar.

Einen Moment lang überlegte ich, ihnen die Wahrheit zu sagen. Aber dann erinnerte ich mich an Axels ungeduldige Worte: „Das interessiert uns nicht. Du musst uns nichts davon erzählen.“

Plötzlich traute ich mich nicht mehr, offen mit ihnen zu sprechen. Auf diese Weise würde ich mich zumindest selbst belügen können, wenn ich endlich gehen würde. Ich würde so tun können, als wüssten sie einfach nicht, dass ich ging, anstatt zuzugeben, dass es ihnen egal war.

Meine Hand glitt in meine Manteltasche, während meine Knöchel schmerzten, weil ich meine Faust so fest ballte. Ich sprach mit gespielter Lässigkeit: „Ich bringe nur meine Sachen in mein neues Zimmer. Wie gesagt, das Hauptschlafzimmer gehört jetzt Willow.“

Axels Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. Aber er wurde schnell wieder hart, während er grimmig sagte: „Willow wird nicht hierbleiben! Du hast sie vor ein paar Tagen die Treppe hinuntergestoßen. Glaubst du, wir würden uns wohl dabei fühlen, sie mit dir unter demselben Dach wohnen zu lassen?“

Ich antwortete automatisch: „Dann ziehe ich eben in ein Studentenwohnheim.“

Axels kurzzeitig weicher gewordener Gesichtsausdruck verdunkelte sich nun vollständig. Aber ich hatte wirklich nicht vorgehabt, ihn zu provozieren.

Da mein Auszug bevorstand, wollte ich ihnen einfach keine Schwierigkeiten mehr bereiten.

Willow setzte eine unschuldige Miene auf: „Das ist dein Zimmer. Ich kann es nicht annehmen.“

Ich antwortete knapp: „Keine Sorge. Sobald ich ausgezogen bin, komme ich eh nicht mehr zurück.“

Willow konnte sich sofort ein Lächeln nicht verkneifen. Als sie ihren Fehler bemerkte, senkte sie schnell den Kopf.

Axel schrie wütend: „Wem drohst du hier?“

Ryker lachte kalt: „Wenn du gehen willst, dann geh! Hast du gedacht, jemand würde dich bitten, zu bleiben?“

Ich sagte nichts mehr und packte weiter meine Sachen.

Da ich über zwanzig Jahre lang in diesem Haus gelebt hatte, hatte ich sehr viele Besitztümer angesammelt. Ich konnte nicht alles mitnehmen, also wählte ich nur das Nötigste und die Dinge aus, die mir meine Eltern vor ihrem Tod hinterlassen hatten. Ich füllte zwei große Koffer und schob sie zur Tür.

Hinter mir ertönte Axels wütende Stimme: „Wenn du den Mut hast, komm niemals zurück!“

Ich kämpfte mich mit dem schweren Gepäck die Treppe hinunter und dann durch die Eingangshalle.

Von hinten folgte mir Axels wütende, sarkastische Stimme: „Nach all den Jahren voller Drama werden wir endlich etwas Ruhe und Frieden haben. Komm nicht zurückgekrochen, wenn du es nicht einmal drei Tage alleine aushältst!“

Ich hatte eigentlich vorgehabt, mir einen Regenschirm zu schnappen. Aber seine Worte verschlugen mir die Sprache, sodass ich stattdessen direkt in den strömenden Regen trat. Der Regen war so stark, dass ich innerhalb weniger Augenblicke völlig durchnässt war. Als ich den Vorgarten durchquerte, verschleierte mir der Regen die Sicht.

Axel schrie hinter mir weiter: „Von nun an kann jeder, der es wagt, ihr die Tür zu öffnen, gleich mit ihr gehen!“

Meine Augen brannten so stark, dass ich sie kaum öffnen konnte. Ich konnte nicht sagen, ob es der Regen oder meine Tränen waren, die meine Sicht verschwimmen ließen.

Etwas Rotes sickerte durch den Ärmel meines durchnässten Mantels.

Die Wunde an meinem Arm, auf der sich kaum Schorf gebildet hatte, seit ich das Gepäck nach unten getragen hatte, war wieder aufgegangen und begann erneut zu bluten.

Vor langer Zeit, bei dem Feuer, das unsere Eltern das Leben gekostet hatte, hatte ich mir schwere Verbrennungen zugezogen, während ich Axel beschützte. Mein Wolf hatte sich dabei so schwer verletzt, dass er den größten Teil seiner Selbstheilungskräfte verloren hatte.

Ich spürte jetzt keinen Schmerz mehr, sondern nur noch Taubheit in meinem ganzen Körper, während ich meine Koffer aus der Villa schleppte.

Ich fragte mich, ob das Studentenwohnheim an der Uni um diese Uhrzeit noch geöffnet hatte. Denn ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wohin ich gehen sollte.

Willow rannte mir hinterher. Ihre Stimme klang dramatisch und tränenreich: „Schwesterherz, es tut mir leid! Bitte geh nicht! Wenn du mich nicht magst, werde ich diejenige sein, die geht.“

Dann ertönte Axels dringliche Stimme, die sie zurückhielt: „Willow, du bist nicht diejenige, die gehen sollte! Außerdem darfst du dich nicht im Regen durchnässen lassen!“

Ich versuchte zu lächeln, schaffte es aber nicht ganz. Mein Wolf war bereits durch die alten Verbrennungen geschwächt und ich hatte mich in den letzten Tagen völlig verausgabt. Durchnässt vom Regen, begann sich mein Blickfeld nun zu verdunkeln.

Gerade als mein Körper zusammenbrechen wollte, fing mich plötzlich eine starke Hand auf. Im selben Moment hörte der Regen auf, auf meinen Kopf zu prasseln.

Mit Mühe blickte ich nach oben und nach einem Moment erkannte ich Derek, den Alpha des Schattenrudels.

Er hatte unermüdlich daran gearbeitet, das Problem der Silbervergiftung unter Werwölfen zu lösen. Er bewunderte meine Fähigkeiten in der Kräuterforschung und hatte mich mehrfach eingeladen, seinem Rudel als Oberheilerin beizutreten.

Aber das Projekt bezüglich der Silbervergiftung war zu wichtig. Die Forschungsmaterialien und -ergebnisse durften nicht nach außen dringen. Das Projekt erforderte eine Isolation von der Außenwelt für mindestens fünfzehn Jahre, weshalb ich zuvor schon oft abgelehnt hatte.

Dieses Mal war es jedoch anders gewesen. Ich hatte zugestimmt, weil es in der Außenwelt nichts mehr gab, wofür es sich zu bleiben lohnte.

Sein Auto wartete im strömenden Regen. Ohne zu fragen, nahm er mein Gepäck und legte es in den Kofferraum.

Axels kaltes Lachen ertönte hinter mir: „So schnell gehst du schon? Und wie ich sehe, hast du dir mächtigen Schutz gesucht.“

Er musste mir extra nach draußen gefolgt sein, um sich mein Elend mitanzusehen.

Derek sah meinen erbärmlichen Zustand und verteidigte mich wütend: „Warum erkennst du sie immer noch als deine Brüder an? In ein paar Tagen wirst du diesen Ort sowieso verlassen ...“

Ich unterbrach ihn hastig: „Alpha!“

Derek verstummte sofort. Er öffnete die Autotür und schob mich entschlossen hinein.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Axels Gesicht sich augenblicklich verdunkelte: „Derek, was willst du damit andeuten?“

Derek spottete angewidert: „Was ich damit andeuten will? Das wirst du in ein paar Tagen herausfinden.“

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Axel stand wie erstarrt da, als könne er nicht begreifen, was gerade geschah.

Nach einem langen Moment, als das Auto gerade losfahren wollte, eilte er herbei, um meine Tür zu öffnen. Aber Derek war bereits eingestiegen und hatte das Auto schnell verriegelt.

Durch das Fenster und den strömenden Regen konnte ich kaum erkennen, wie Axels Lippen die Worte formten: „Ember, steig aus dem Auto!“

Sein Gesichtsausdruck war wütend, aber auch mit etwas anderem vermischt. Es war etwas Ungewöhnliches, das ich nicht identifizieren konnte. Ich konnte es nicht verstehen und wusste nur, dass meine Abreise für ihn inzwischen wahrscheinlich bedeutungslos war. Sowohl für ihn als auch für Ryker.

Ich schloss die Augen und weigerte mich, ihn noch weiterhin anzusehen. Als das Auto losfuhr, sah ich im Rückspiegel, dass Axel immer noch dort regungslos im Regen stand.

Derek schimpfte wütend: „Du bist verletzt und sie werfen dich in diesen Regen hinaus! Ich verstehe wirklich nicht, warum du zurückgekommen bist und sich von ihnen so behandeln lassen hast.“

Ich drehte mich um und schaute aus dem Fenster auf den strömenden Regen. Nach einer langen Pause sagte ich leise: „Sie waren immer sehr gut zu mir.“

Derek glaubte mir nicht. Ich hatte ihn erst an der Uni kennengelernt. Er hatte nie gesehen, wie Axel und Ryker sich einst um mich gekümmert hatten.

Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich wiederholte in einem ersten Ton: „Wirklich. Sie waren immer sehr, sehr gut zu mir.“
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