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Kapitel 4

Author: Mond
Martin fuhr wütend davon.

Mit ihm verschwand auch das hysterische Geschrei meiner Mutter.

Als das Auto an mir vorbeifuhr, sah ich Sophies triumphierendes Gesicht.

Sie dachte, sie hätte gewonnen.

Wieder war ich von allen verlassen, wie ein einsamer, erbärmlicher Wurm.

Aber es war mir völlig egal.

Eltern, Ehemann, Sohn – ich wollte sie alle nicht mehr.

Wenn sie sie so gern hatte, sollte sie sie doch alle haben.

So gleichgültig dachte ich, aber in dieser elenden Situation drängten sich ungewollt all die schlechten Erinnerungen in meinen Kopf.

Ich wollte weinen, nicht aus Trauer, nur um Dampf abzulassen.

Aber ich traute mich nicht. Ich hatte Angst, dass die Tränen mein Gesicht noch mehr brennen ließen. Das wäre das Letzte gewesen.

So stapfte ich weiter, einen Fuß vor den anderen, bis meine Füße taub wurden, bis mein Kopf wie vernebelt war und ich an nichts mehr denken konnte.

Als ich endlich einen Unterschlupf vor dem Schnee fand und glücklicherweise ein Taxi bekam, rutschte der Wagen im Moment des Anhaltens plötzlich weg und kam direkt auf mich zu.

Der Aufprall war nicht schlimm, aber ich fiel in den Schnee. Nach der langen Zeit im Schneesturm war mein Körper unterkühlt, und ich wurde ohnmächtig.

Als ich aufwachte, fühlte sich mein ganzer Körper an, als wäre er von einem Lastwagen überrollt worden.

Mein Kopf dröhnte, die Augenlider waren schwer, ich glühte am ganzen Körper, und meine Kehle brannte wie Feuer.

Mit Mühe öffnete ich die Augen und sah einen sauber aussehenden jungen Mann am Bett sitzen.

Mit heiserer Stimme fragte ich: „Wo bin ich?“

Der junge Mann sah mich erfreut an: „Du bist wach! Gott sei Dank!

Du bist im Krankenhaus. Du hattest hohes Fieber und warst zwei Tage bewusstlos.“

Er war mir zu nah, sein Atem kitzelte warm auf meinem Gesicht.

Ich war es nicht mehr gewohnt, einem Mann so nahe zu sein, und runzelte unwillig die Stirn.

Er richtete sich hastig auf, seine Ohren wurden leicht rot, und er erzählte mir, was passiert war.

Er sagte, er heiße Paul. Weil sein Vater krank sei und Geld brauche, fahre er nach der Arbeit Uber, um etwas dazuzuverdienen.

Er hätte nie gedacht, dass sein Auto trotz vorsichtigen Fahrens auf dem Eis ins Rutschen käme.

Zum Glück sei mir nichts Ernstes passiert, nur mein Handgelenk sei leicht verstaucht.

Außerdem hätte der Arzt schwere Anämie und Unterzuckerung festgestellt. Wegen des anhaltenden Fiebers hätte der Arzt eine Lungenentzündung befürchtet, deshalb sei er bei mir geblieben.

Ich sah ihn an. Er wirkte brav, fast kindlich, besonders mit diesen großen, klaren Augen, die noch unberührt von der Welt schienen.

Mein Blick fiel auf seinen Mantel ohne erkennbare Marke, aber von feiner Verarbeitung. Dieser Junge log wirklich, ohne mit der Wimper zu zucken.

Aber ich entlarvte ihn nicht. Im Gegenteil, ich war dankbar, dass er in diesem Moment bei mir war.

Ich sagte: „Danke, aber du musst nicht hierbleiben. Ruf einfach die Versicherung an.“

Er war ehrlich: „Das wollte ich eigentlich auch.

Aber Polizei und Ärzte konnten deine Familie nicht erreichen, also bin ich mitgekommen.“

Ach so.

Sicher kümmerten sich alle um das manipulative Mutter-Tochter-Gespann. Niemand hatte Zeit für mich.

Da klingelte mein Handy.

Paul reichte es mir. Auf dem Display stand „Ehemann“.

Er war sichtlich überrascht. Eine verheiratete Frau, deren Mann nach zwei Tagen im Krankenhaus nicht erreichbar war – das war wirklich selten.

Ich wollte ihm sagen, er solle nicht rangehen, aber er hatte schon abgenommen.

Und rücksichtsvoll auf Lautsprecher gestellt.

Martins Stimme drang aus dem Telefon: „Julia, wo warst du die letzten zwei Tage?“

Ich verdrehte die Augen. Mit diesem Vollidioten wollte ich kein Wort mehr wechseln.

Martins Ton wurde kälter: „Mir egal, wo du bist. Komm sofort zurück und entschuldige dich bei Sophie und ihrer Tochter.

Weißt du eigentlich, dass der Arzt sagt, Emma habe wegen damals ein Trauma? Bei Aufregung wird sie ohnmächtig.

Du hast Sophie geschadet und jetzt auch ihrer Tochter. Fühlst du dich nicht schuldig?“

Angewidert runzelte ich die Stirn. Bevor ich antworten konnte, redete Martin schon weiter: „Meine Eltern sind auch da. Sie sagen, wenn du vor Sophie auf die Knie gehst und dich entschuldigst, vergeben sie dir.

Wolltest du nicht immer, dass sie dich wieder lieben? Das ist deine Chance. Wenn du nicht kommst, wirst du es bereuen.“

Ich lachte kalt auf und wollte gerade antworten, als Paul mir zuvorkam:

„Sie kann nicht kommen, sie ist tot. Die Leiche liegt im Bestattungsinstitut. Willst du sie suchen?

Beeil dich, sonst kriegst du nicht mal mehr die Asche.“

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