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Kapitel 2

Penulis: Lena Sternenstaub
Ich war zu lange weg gewesen. Dieses Zuhause, in dem mein Bruder und ich über ein Jahrzehnt lang gemeinsam gelebt hatten, war nicht mehr wiederzuerkennen. Es hatte sich in etwas völlig Fremdes verwandelt.

Die Fotos von meinem Bruder und mir, die einst im Wohnzimmer gehangen hatten, waren verschwunden und durch Bilder von ihm und Selene ersetzt worden. Das cremefarbene Sofa, für das ich meinen Bruder angefleht hatte, es maßanfertigen zu lassen, war verschwunden und durch ein rosafarbenes ersetzt, das ich verabscheute.

Mein Schlafzimmer war völlig unerkennbar. Alle meine Habseligkeiten waren verschwunden, und der ganze Raum stank nach dem Geruch einer anderen Wölfin.

„Bist du das, Skye?“ Selene kam aus dem Schlafzimmer meines Bruders mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen.

„Du warst so lange fort, darum habe ich Selene gebeten, hier einzuziehen. Ihr Bein ist dauerhaft geschädigt, seit du sie mit dem Feuer verbrannt hast. Du solltest dich um sie kümmern.“ Mein Bruder kam herüber und legte seinen Arm besitzergreifend um Selenes Taille. „Ich habe jemanden den kleinen Dachboden ausräumen lassen. Dort wirst du jetzt wohnen.“

Ich warf einen Blick in den dunklen Raum oben. Ein modriger Geruch strömte herab – früher wurde dort die Jagdbeute gelagert.

Aber das war schon in Ordnung. Wenigstens hatte ich einen Platz zum Schlafen. Im Rehabilitationszentrum waren wir zu acht in einem stickigen Käfig zusammengepfercht worden.

Bei heißem Wetter war ich oft mitten in der Nacht schweißgebadet aufgewacht und hatte das Gefühl gehabt, dass ein Felsbrocken meine Brust zerdrücken und mir das Atmen unmöglich machen würde.

Aber selbst das war nicht das Schlimmste. Das Furchtbarste war, dass einer der Aufseher ein Pädophiler war. Kurz nach meiner Ankunft, als ich eines Nachts im Halbschlaf war, spürte ich, wie mich jemand berührte. Ich riss die Augen auf und sah ein Paar hungrige Augen, die mich anstarrten. Ich versuchte zu schreien, doch seine Hand presste sich fest auf meinen Mund.

Ich konnte keinen Ton herausbringen. Er war schließlich ein ausgewachsener Wolf und der enorme Kraftunterschied machte jeden Widerstand zwecklos.

Ich sah deutlich, wie die anderen Mädchen ihre Augen öffneten. Sie sahen alles, doch keine einzige stand auf, um ihn aufzuhalten. Nach jener Nacht schlief ich nie wieder ruhig an jenem Ort.

Im Vergleich dazu war dieser Dachboden, obwohl er klein und düster war, doch recht sauber und ordentlich. Für mich war es ein Segen, einen solchen Ort mein Eigen nennen zu können.

„Skye, ich habe dir quasi dein Zimmer genommen und jetzt bist du gezwungen, hier oben zu wohnen. Du bist mir deshalb doch nicht böse, oder?“ Selenes Stimme triefte vor falscher Besorgnis. Ihr Lächeln konnte ihre Häme kaum verbergen.

Früher hätte ich mich auf so eine heuchlerische, doppelzüngige Wölfin gestürzt. Selene konnte ich von unserer ersten Begegnung an nicht leiden. Ich habe diese manipulativen Weibchen, die sich an andere klammern, schon immer gehasst, aber sie fand stets Wege, mich zu verfolgen.

Während unserer Abschlussfeier in der Schule manövrierte sie mich in eine Situation, in der wir allein waren, und verbrannte sich dann absichtlich die Beine mit Feuer.

Als dann alle herbeieilten, wurden sie Zeugen der Folgen. Nach Selenes tränenreichen Anschuldigungen brandmarkten sie mich dann alle als das grausame Mädchen, das ein anderes Rudelmitglied gemobbt hatte.

Ich werde jenen Tag nie vergessen. Mein Bruder hatte Selene in seinen Armen gewiegt, während er mich mit einer Mischung aus Enttäuschung, Wut und Ekel in den Augen angesehen hatte.

„Du hast mich unbeschreiblich enttäuscht. Du bist nicht mehr meine Schwester!“

Aber ich hatte sie überhaupt nicht verletzt.

In jener Nacht hatte ich stundenlang zu Hause auf meinen Bruder gewartet. Er war nicht zurückgekommen und hatte auch meine Anrufe nicht beantwortet.

Ich sah meinen Bruder nie nach Hause kommen. Stattdessen waren fremde Betas in unser Haus gestürmt, hatten mich in ein Auto gezerrt und mich an diesen höllischen Ort gebracht.

Ohne mir eine Chance zur Erklärung zu geben, warf mich mein Bruder ins Rehabilitationszentrum – einen Ort für minderjährige Kriminelle und straffällige Wölfe.

„Ich habe dich nicht richtig erzogen. Bleib dort und denke über deine Taten nach. Büße dafür, dass du Selenes Bein verstümmelt hast.“

Von jenem Moment an hatte ich gewusst, dass ich verloren hatte. Nicht weil Selene stärker gewesen wäre, sondern weil die Waage im Herzen meines Bruders bereits zu ihren Gunsten ausgeschlagen hatte.

Selbst wenn sie nun alles besaß, was einst mir gehörte, wie hätte ich es wagen können, meine Unzufriedenheit zu äußern?

„Es ist das Haus meines Bruders. Was auch immer er anordnet, ist für mich in Ordnung. Dieser Ort hier ist ausreichend. Ich werde hier bleiben“, sagte ich leise und mit gesenktem Kopf.
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