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Kapitel 7

Author: Zora Miau
Timo neckte Marlene nur aus einem Grund – weil sie hübsch war.

Leise sagte er: „Wenn du mir vergibst, beschütze ich dich ab jetzt im Kindergarten. Ich lasse nicht zu, dass dich jemand ärgert.“

Er hatte Angst. Angst davor, dass Marlenes Mutter sie wegen dieser Sache aus dem Kindergarten nehmen würde.

Elin hatte tatsächlich darüber nachgedacht. Doch selbst ein Wechsel bedeutete keine Garantie – ähnliche Situationen konnten überall passieren.

Behutsam fragte sie ihre Tochter: „Marlene, möchtest du wechseln oder hierbleiben?“

Marlene dachte kurz nach und nickte dann.

„Die Lehrerinnen und die anderen Kinder sind lieb.“

Elin war nicht frei von Eigennutz.

Nach dem Vorfall würde Adrian – aus Schuldgefühl heraus – offen oder indirekt eingreifen und Grenzen setzen. Zumindest musste sie keine Angst mehr haben, dass ihre Tochter erneut auf einen kleinen Tyrannen wie Timo traf.

Dass Timo sich entschuldigt hatte, zeigte, dass er nicht völlig verloren war.

An der Kreuzung nahe ihrer Wohnung bat Elin Adrian, anzuhalten. Sie stieg mit Marlene aus und ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

Ihr war nicht danach.

Schon an ihrem Rücken konnte Adrian erkennen, dass Elin wütend war.

Auch wenn sie sich verändert hatte, als hätte sie sich eine schützende Schicht zugelegt, waren ihr Temperament und ihre kleinen Eigenheiten unverändert geblieben.

Wenn sie wütend war, schwieg sie. So war es schon immer.

Früher hatte Elin es nie übers Herz gebracht, ihm offen zu widersprechen.

Sie schluckte ihren Ärger hinunter, verarbeitete ihn allein und kam erst dann wieder zu ihm zurück.

Adrians Blick glitt über die Gegend.

Alte, umgesiedelte Wohnblocks, niedrige Mieten. Der Weg zur Firma dauerte mindestens eine Stunde.

Also lebte Elin jetzt hier.

Ihr Ehemann schien tatsächlich keine große Rolle zu spielen.

Adrian drängte das aufkommende Unbehagen zurück, lenkte den Wagen und fragte ruhig:

„Du ärgerst Marlene öfter, stimmt’s?“

Timo verzog das Gesicht.

Erst nach wiederholtem Nachfragen platzte es aus ihm heraus:

„Ich habe gesagt, sie hat keinen Vater. Ein vaterloses Kind. Dass ihr Papa sie nicht will. Onkel, ich habe ihren Papa wirklich noch nie gesehen.“

„Sie wollte nie mit mir spielen, also habe ich ihr ein paar Mal die Snacks und das Obst weggenommen.“

„Ich habe sie auch geschubst. Sie hat so ein Kleid, das hat nur 6 Euro gekostet. Onkel, hast du schon mal Kleidung für 6 Euro gesehen? Total mies. Einmal ziehen und es ist kaputt.“

„Einmal habe ich gesehen, wie sie bittere Medizin trinkt. Da habe ich sie einfach weggeschüttet.“

Adrian presste die Finger an seine Schläfen.

Zum ersten Mal war er froh, dass Elin das nicht gehört hatte.

Mit ihrer kompromisslosen Art, ihr Kind zu schützen, wäre ihre Wut kaum zu bremsen gewesen.

Er brachte Timo zurück zum Haus seiner Cousine und erklärte, was passiert war.

Der Wagen hatte sich noch nicht einmal in Bewegung gesetzt, da drang aus dem Inneren bereits Timos lautes, verzweifeltes Weinen nach draußen.

Adrian blieb im Auto sitzen und hörte das Weinen von Timo aus dem Haus.

Er machte keine Anstalten zu fahren.

Er zog sein Handy hervor, öffnete den internen Firmenchat und suchte Elin über sein verifiziertes Konto.

Ihr Profilbild war ein einfach gezeichneter kleiner Hund. Breit grinsend, mit Blumen in den Pfoten.

Irgendwie passte das zu ihr. Zu der Elin von früher.

Die Nachricht, die Adrian abschickte, wurde sofort mit einem roten Ausrufezeichen markiert.

Darunter erschien der Hinweis: Unternehmensinterne Regel – keine abteilungsübergreifende Kommunikation, kein direkter Kontakt über Hierarchiestufen hinweg.

Adrian: …

Als Firmenchef musste er also den offiziellen Weg gehen, um eine Mitarbeiterin zu erreichen.

Er öffnete den Chat mit Mark. „Schick Elin meine Kontaktanfrage.“

Mark bekam es mit der Angst zu tun. Er dachte sofort an neue Probleme mit Elins Projekt. Mit dem Handy in der Hand war er innerlich kurz davor, zusammenzubrechen.

Nachdem er die Anfrage weitergeleitet hatte, kam von Elin nur ein Zeichen:

„?“

„Was will er?“

Diese Nachricht wurde sofort zurückgezogen und durch ein knappes „Okay“ ersetzt.

Elin sah sich die Anfrage an.

Adrians Profil war so kühl wie er selbst.

Schwarzes Profilbild, ein einzelner Buchstabe als Name – A –, dazu eine nüchterne Kombination aus englischem Namen und Geburtsdatum.

Sie nahm die Anfrage an.

Kurz darauf kam seine Nachricht: „Sollte es im Nachhinein irgendwelche Probleme mit deiner Tochter geben – ich kümmere mich darum.“

Elin: „Gut.“

Kurz darauf kam von Adrian ein Video.

Darauf war zu sehen, wie der pummelige Timo, von seiner Mutter mit einem Tag Hausarrest belegt, frustriert auf dem Boden lag und weinend die Konsequenzen seines Fehlverhaltens spürte.

Elin sah es sich einmal an. Und sie verstand die Botschaft. Es war genug, sie sollte die Sache ruhen lassen.

Es war offensichtlich, wie sehr Adrian sein Kind schützte. Vermutlich stammte es von einer Frau, die er wirklich liebte.

Ein bitter-saurer Schmerz zog sich durch Elins Brust. Am Nachmittag hatte sie jedes einzelne Detail gesehen – wie er den Jungen verteidigt hatte.

Selbst die strenge Maßnahme gegen ihn wurde nicht vollständig durchgezogen, sondern nur angedeutet, um eine ernste Lektion zu erteilen. Mehr Show als Strafe.

Natürlich.

Adrian brauchte sich um Kinder keine Sorgen zu machen. Wenn er wollte, gab es genügend Frauen, die ihm eines schenken würden.

Elin lächelte schief, antwortete auf das Video nur knapp: „Gesehen.“

Dann zog sie sich innerlich zurück.

In derselben Nacht bekam Marlene plötzlich Fieber.

Aus Angst vor einer Infektion setzte Elin ihnen beiden Masken auf und fuhr eilig in die Notaufnahme.

Die Untersuchung ergab nichts Neues – alte Probleme.

Der Arzt zeigte auf einen abgetrennten Bereich hinter einem Vorhang.

„Setzen Sie sich dort mit dem Kind hin. Das Medikament wird gerade vorbereitet.“

„Danke.“

Elin setzte sich mit Marlene in den kleinen Wartebereich. Mit einer Hand hielt sie ihre Tochter fest, mit der anderen blickte sie auf die Nachrichten auf ihrem Handy.

Elin hatte Kunst studiert und schon seit dem Studium Illustrationen gezeichnet.

Damals ging es ihr finanziell gut. Sie zeichnete aus reiner Begeisterung – Fanarts zu Spielen und Serien. Und genau das brachte ihr unerwartet Reichweite.

Heute hatte sie rund drei Millionen Follower und galt als bekannte Illustratorin.

Immer wieder fragten Leute, ob sie Aufträge annehme. Wenn es ihre Zeit erlaubte, sagte sie meist zu.

Doch Zeichnen war zeitaufwendig. Für jedes Bild brauchte sie etwa eine Woche.

Und da Marlene wieder krank war, ließ ihre Produktivität zusätzlich nach.

Elin öffnete einige neue Anfragen, schickte ihre Preisliste und meldete sich anschließend ab.

Da klingelte das Handy – Adrian rief an.

„Die Jacke deiner Tochter liegt noch in meinem Auto.“

„Ich hole sie morgen nach der Arbeit bei Ihnen ab.“

Adrian hörte, wie leise Elin sprach, und ahnte, dass sie gerade nicht ungestört war. Er wollte bereits auflegen, als draußen vor dem Vorhang laute Stimmen ertönten.

Eine ältere Frau klang sichtlich ungehalten: „Dieser Adrian ist wirklich unmöglich. Unser Timo wollte im Kindergarten doch nur Freunde finden. Wie kann er behaupten, Timo würde andere Kinder schikanieren?“

„Schau doch, wie sehr unser Junge sich erschreckt hat – jetzt hat er sogar Fieber bekommen!“

Jasmin, Adrians Cousine, versuchte zu beschwichtigen:

„Mama, Adrian hat Timo doch nur zurechtgewiesen, weil es gut für ihn ist. Und ehrlich – lass Timo selbst erzählen, was er gemacht hat. Das war keine Freundschaft, das war Mobbing.“

Die alte Frau gab keine Ruhe. „Aber so herzlos darfst du nicht sein! Wann hatte Timo je Hausarrest bekommen!“

„Er hat mir alles erzählt. Dieses Mädchen trägt Kleidung für ein paar Euro, und niemand hat jemals ihren Vater gesehen. Wer weiß, vielleicht gehen Mutter und Tochter ganz bewusst auf einen Elite-Kindergarten, um sich an wohlhabende Männer heranzumachen.“

„Ganz sicher ist das so. Andernfalls hätte jemand wie Adrian sie niemals persönlich nach Hause gefahren. Timo sagt, die Mutter dieses Kindes ist hübsch – so jemand ist doch bestimmt eine billige Frau. Nein, morgen gehe ich zur Schule und verlange, dass dieses schamlose Mädchen rausgeworfen wird!“

Jasmin platzte der Kragen. „Wenn du dich traust, dann sag das Adrian doch persönlich.“

Vor Adrian wagte die alte Frau es nicht, so laut zu werden.

Hinter dem Vorhang wurde Elin mit einem Schlag eiskalt. Die Worte schnitten wie Klingen in ihre Ohren. Ihr Trommelfell schmerzte, ein schrilles Rauschen zog sich in Wellen durch ihren Kopf.

Daher bemerkte sie nicht einmal, dass der Anruf noch nicht beendet war.

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