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Kapitel 2

Author: Shiman
Zu Hause saß ich lange regungslos auf dem Sofa.

Die ersten Anzeichen, dass mit Kai und mir etwas nicht stimmte, zeigten sich eigentlich schon letzten Monat.

Ich konnte einfach nicht begreifen, wie sich Gefühle so plötzlich ändern konnten.

Immer wenn ich ihn auf Edith ansprach, sagte er nur:

„Du interpretierst da zu viel rein. Ich sehe sie wie eine kleine Schwester, deshalb kümmere ich mich ein wenig mehr um sie.“

Am Anfang glaubte ich ihm wirklich.

Denn seine Zuneigung zu mir war nicht gespielt – daran hatte ich nie gezweifelt.

Bis zu jenem Abend, an dem ich ihn von einer Feier abholte, weil er zu viel getrunken hatte.

Sein ebenfalls betrunkener Freund verriet mir dann unbeabsichtigt die Wahrheit.

„Kai und Edith? Die zwei kennen sich seit ihrer Kindheit. Bevor Kai dir hinterherlief, hatte er ihr sogar seine Liebe gestanden. Sie hat aber abgelehnt.“

„Solche Jugendfreundschaften vergisst man nicht einfach.“

„Weißt du, warum er dich so mochte? Weil dein Lächeln sie irgendwie erinnert hat.“

„Aber mach dir keinen Kopf – wir Jungs haben ihn schon ermahnt, sich auf dich zu konzentrieren. Edith wollte damals eh nichts von ihm. Jetzt, wo er Erfolg hat, kommt sie plötzlich angekrochen.“

„…“

„Ding–ding–ding!“

Erst als der Piepton des Teekochers erklang, wachte ich aus meinen Gedanken auf.

Ich trank eine Schale bitteren Kräutertee, der tief in der Brust brannte. Dann sah ich mich in der sorgfältig eingerichteten Wohnung um und strich mit einem kräftigen Strich einen Tag im Kalender durch.

Noch vierzehn Tage.

Danach begann ich, die Wohnung Stück für Stück zu räumen und zu putzen.

Lichtenstadt liegt im Süden, doch Kingstadt im Norden – ich konnte nicht viel mitnehmen.

Der Rest? Wurde weggeworfen.

Ich mochte es nicht, wenn andere sich um meine Sachen kümmerten – erst recht nicht Kais nächste Frau.

Nach zwei Touren zur Mülltonne war ich erschöpft. Der Rest musste warten.

Nach dem Duschen öffnete ich mein Handy – und stieß auf einen neuen Beitrag von Edith:

„Tagsüber ist er der dominante CEO, abends stellt er sich für meinen Lieblingskuchen an~ Er sagt, er will all die verpassten Jahre wiedergutmachen. So glücklich!“

Dazu ein Foto von einem Erdbeerkuchen – und an ihrer Hand hing lose eine Männeruhr, die ihr definitiv nicht gehörte.

Ein Paaruhrmodell. Die Damenversion trug ich.

Damals, nach ein paar durchgearbeiteten Nächten, als Kai und ich unser erstes großes Projekt erfolgreich abgeschlossen hatten, war er euphorisch.

Das war der Durchbruch für unseren Ruf.

Er zerrte mich, obwohl wir kaum geschlafen hatten, in die Mall und kaufte das Uhrenpaar, dessen Bild ich heimlich gespeichert hatte.

Ich sagte, sie sei zu teuer.

Er bestand darauf.

Legte mir die Uhr ans Handgelenk und sagte ernst:

„Yara, alles, was du liebst, sollst du auch von mir bekommen.“

Diese Herrenuhr trug er immer – außer beim Duschen und Schlafen.

Seine frühere Assistentin wurde gefeuert, weil sie sie versehentlich ins Wasser fallen ließ.

Alle wussten: Kai liebte mich.

Heute ist das ein Witz.

Denn niemand wusste, dass er, während er mich so liebevoll ansah, in Wahrheit an jemand anderen dachte.

Ich atmete tief aus, nahm meine Uhr ab, fotografierte sie, und stellte sie bei eBay Kleinanzeigen.

Kai kam die ganze Nacht nicht nach Hause.

Am nächsten Tag schlief ich bis mittags und ging dann zur Firma, um meine Kündigung einzureichen.

Seitdem das Unternehmen stabil lief, war ich nur noch für den Designbereich zuständig.

Doch kaum war ich vom Designbüro auf dem Weg zur Personalabteilung, wurde ich von mehreren Kollegen beglückwünscht.

Verwirrt erreichte ich schließlich das Büro.

Linda Hof, verantwortlich für Personal und ein echtes Urgestein der Firma, zog mich hinein.

„Sei ehrlich – Kai will dir doch einen Antrag machen, oder?!“

„Was?“, fragte ich perplex.

Sie hatte mit mir nie viele Hemmungen.

„Jetzt stell dich nicht dumm. Kai fährt so ein Riesentheater auf – jeder weiß doch, dass er dir einen Antrag machen will!“

Ich runzelte die Stirn. „…Was meinst du damit?“

Sie hielt sich kurz die Hand vor den Mund.

„Du weißt es wirklich nicht? Vielleicht soll es eine Überraschung werden…“

„Sag endlich, was du meinst.“

„Na ja …“ Sie zögerte kurz, entschied sich dann aber offenbar für meine Seite:

„Gerade hat jemand gesehen, wie ein Blumenladen einen ganzen Kofferraum voller rosa Rosen an Kai geliefert hat! Und heute ist weder dein Geburtstag noch ein Jubiläum. Wenn das kein Antrag ist, was dann?!“

Rosa Rosen.

Ich erinnerte mich: Als Edith vor zwei Monaten in Lichtenstadt ankam, holte Kai sie vom Flughafen ab – mit genau solchen Rosen.

Meine Finger glitten wortlos über die Handinnenfläche.

Ich presste die Lippen aufeinander. Linda warf einen Blick auf meine Hand.

„Was hast du da?“

„Ich will kündigen.“

„Ich wusste es!“ Sie schlug sich gegen die Stirn. „Das ist es also – du willst dich aufs Familienleben konzentrieren. Verständlich. Na komm, ich unterschreibe gleich.“

„Gut.“

Ich erklärte nichts, reichte ihr die Unterlagen.

Sie unterschrieb und murmelte dabei:

„Kai hätte mir ruhig früher Bescheid sagen können. Wo soll ich jetzt so schnell jemanden wie dich für den Posten finden …“

„Lass ihn einfach unterschreiben, dann ist alles erledigt.“

Sie reichte mir die Unterlagen zurück, mit einem ehrlichen Blick.

„Yara, ich weiß nicht, ob dein Schritt zurück ins Privatleben richtig oder falsch ist. Aber als Freundin wünsche ich dir von Herzen Glück. Ich hoffe, Kai wird dich nicht enttäuschen.“

„Danke. Ich werde glücklich sein.“

Nur – mein Glück hat mit Kai Krause nichts mehr zu tun.
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