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Kapitel 3

Author: Ava
Ich stand wie erstarrt da und wollte gehen. Aber dann fiel mir ein, dass meine persönlichen Dokumente noch in meinem Zimmer eingeschlossen waren.

Ich sagte nichts. Ausdruckslos und wie betäubt ging ich an ihnen vorbei und dann die Treppe hinauf. Als ich vorbeiging, erhaschte ich einen Blick auf Kristys Gesicht.

Sie lächelte. Es war ein bösartiges, triumphierendes Lächeln. Sie sah aus wie ein Raubtier, das seinen Sieg genoss.

Als ich die Tür zu meinem Zimmer öffnete, blieb ich wie angewurzelt stehen. Es war ein totales Chaos.

Kristys Kleider lagen überall auf meinem Bett verstreut und verstopften den kleinen Raum, den ich eigentlich nur für mich allein hatte. Mein Zufluchtsort war überfallen und zerstört worden.

Ich stand einen Moment lang einfach nur da und Erinnerungen strömten wie eine Flut auf mich ein.

Einmal war dieser Ort voller Glück gewesen. Luke und ich hatten gemeinsam viel gelacht.

Er hatte sich nach einem Jagdausflug in mich verliebt und mich bald darauf zu seiner Luna erklärt.

Er hielt zu meinen Ehren eine heilige Markierungszeremonie ab, während der wir unter dem Jubel des gesamten Rudels den Segen der Mondgöttin erhielten.

Jener Tag war der glücklichste Moment meines Lebens.

Dann kamen unsere Zwillinge: Chris und Collin.

Luke baute uns sogar mit seinen eigenen Händen dieses Haus und versprach, dass wir hier gemeinsam alt werden würden.

Damals glaubte ich ihm. Aber alles änderte sich an dem Tag, als er eine verwaiste Wölfin in unser Leben brachte.

Kristy war erst fünfzehn, als sie zu uns kam. Und ich wollte sie wirklich willkommen heißen. Ich gab ihr mein Zimmer, damit sie mehr Platz hatte, und zog ohne zu murren in das beengte Arbeitszimmer.

Ich gab ihr meine neuen Kleider, damit sie sich sicherer fühlte. Ich bat auch Luke, sich mehr um sie zu kümmern, und sagte sogar unseren Welpen, sie sollten mit ihr spielen und sie wie eine Schwester behandeln.

Ich übernahm dann auch mehr Verantwortung im Rudel, nur damit sie leichter eine Bindung zu den Rudelmitgliedern aufbauen konnte.

Ich gab ihr alles. Mein Zuhause. Meine Familie. Meine Liebe.

Aber langsam, ohne dass ich es merkte, wendete sich das Blatt. Opfer zu bringen, wurde plötzlich von mir erwartet. Und meine Anwesenheit schien zu einer Last zu werden. Sie alle begannen sich so zu verhalten, als wäre es nur natürlich, dass ich weiter gab, weiter Opfer für Kristy brachte.

Und während ich mich abmühte, noch mehr zu geben, wurde ich zum Problem.

Luke wurde kälter, ungeduldiger. Meine Welpen, mein eigenes Fleisch und Blut, begannen, sich mehr um sie zu kümmern als um mich.

Kristy stellte mich immer wieder in ein schlechtes Licht. Sie spielte die Opferrolle und war in ihren Augen immer vollkommen unschuldig. Jedes Mal, wenn sie das tat, entfernte sich meine Familie weiter und weiter von mir.

All die Liebe, die ich ihnen entgegengebracht hatte, all die Wärme, die Loyalität, die Opfer. All das war nun vollkommen wertlos.

Ich wischte mir die Tränen weg, die mir unbemerkt über das Gesicht gelaufen waren. Seltsamerweise fühlte ich mich erleichtert. Es waren nur noch zwei Tage, bis ich diesen Ort endlich verlassen würde.

Am nächsten Morgen wurde ich durch einen Anruf von Alice, meiner Teamkollegin aus dem Werwolfstamm, geweckt. Ich konnte ihre Aufregung förmlich durch das Handy spüren.

„Hallo, Christina! Ich habe es gerade von Alex gehört! Du hast endlich zugestimmt, eine Ausbildung im Nordterritorium zu machen! Ist das wirklich wahr? Ich meine, ähm, du hattest doch immer eine so glückliche Familie. Dein Gefährte ist der Alpha, ihr habt Zwillingswelpen. Willst du sie wirklich verlassen?“

Ich antwortete ruhig. Meine Stimme war so still wie ein gefrorener See. „Ja. Ich werde gehen. Dieses Mal werde ich mein Wort nicht brechen.“

„Wow, das ist großartig! Ich bin so froh, dass du mit mir trainieren wirst! Wann fährst du los?“

„Morgen.“

Als ich das Gespräch beendete, schaute ich hoch und erstarrte. Luke stand vor dem Zimmer und meine Zwillinge hinter ihm. Er starrte mich fassungslos an.

„Wohin gehst du?“

Bevor ich antworten konnte, rannte Collin mit Tränen in den Augen in meine Arme. „Mama, es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe! Ich habe es nicht so gemeint. Bitte verlass uns nicht!“

Chris' Stimme zitterte, obwohl er versuchte, stark zu bleiben. „Mama, liebst du uns nicht mehr?“

Mein Herz zog sich für einen Moment zusammen. Aber ich fasste mich wieder und hielt meine Stimme neutral. „Ich, ich ...“

Luke unterbrach mich. Er tat so, als wäre er sich sicher, dass ich es nicht wagen würde, ihn, unsere Zwillinge oder das Leben, das wir uns gemeinsam aufgebaut hatten, zu verlassen. Als wäre ich unfähig, wegzugehen.

„Christina, es tut mir leid. Ich habe gestern die Beherrschung verloren, aber bitte gib Kristy nicht mehr die Schuld an allem. Wenn du sie einfach wieder wie ein Familienmitglied behandeln könntest, würde ich ...“

Mein Wolf lachte bitter und spöttisch in meinem Kopf. „Ich dachte gerade echt für eine Sekunde, er würde sich um dich sorgen. Dass er endlich hier wäre, um sich bei uns zu entschuldigen. Aber nein, er hat nur Angst, dass du Kristy verletzen könntest.“

Ich unterbrach ihn eiskalt. Meine Augen waren wie Glasscherben. „Keine Sorge. Ich werde ihr keinen Ärger mehr machen.“

Luke war sichtlich fassungslos, ebenso wie die Zwillinge. Sein Blick huschte zu dem Tisch, auf dem ich die Kräuter liegengelassen hatte. Sie zu bekommen, hatte ich fast mit meinem Leben bezahlt.

Langsam dämmerte es ihm. Er zwang sich zu einem unbeholfenen Lächeln. „Oh, ähm, das war also für sie? Ähm, danke. Nachdem du gegangen warst, erholte sich Kristy wirklich schnell. Der Heiler sagte, sie müsse nicht in der Krankenstation bleiben, also sind wir nach Hause gekommen.“

„Gut. Dass es ihr besser geht, ist alles, was zählt.“ Ich lächelte, aber das Lächeln erreichte meine Augen nicht. Es war kalt und versteinert.

Auf Lukes Gesicht und sogar in den Gesichtern der Jungen zeigte sich ein flüchtiger Ausdruck. Vielleicht war es Unsicherheit.

Chris trat einen Schritt vor und seine Stimme klang verwirrt. „Mama, was ist los mit dir?“

Collins Augen leuchteten auf. Er verwechselte meine Gleichgültigkeit anscheinend mit Vergebung. „Ich bin froh, dass du Kristy wieder akzeptierst. Ich wusste, dass du das irgendwann tun würdest.“

Als ich gerade die Tür schließen wollte, schien Luke plötzlich etwas zu begreifen. Er eilte zurück und hielt sie mit seinen Krallen auf, kurz bevor sie sich schloss.

„Christina! Ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass ich dich morgen Abend abhole. Wir fahren ins Mondschattental.“

Seine Augen leuchteten vor Vorfreude. Es schien, als würde er erwarten, dass ich auch lächeln würde.

„Warum?“, fragte ich, während eine Welle der Bitterkeit in meiner Brust aufstieg. Morgen Abend? Da wäre ich schon längst weg.

„Es ist unser achtes Jubiläum! Das habe ich natürlich nicht vergessen.“

Ich zwang mich zu einem kalten, leeren Lächeln. Gerade als ich den Mund öffnete, um zu antworten, hallte Chris' panische Stimme durch den Flur.

„Papa! Kristy hat sich in den Finger geschnitten! Es blutet stark!“

Bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, war Luke schon verschwunden. Er eilte zu Kristy, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Die Tür schlug hinter ihm zu und klemmte mir meinen Finger ein. Er pochte, wurde rot und schwoll innerhalb von Sekunden an.

Ich seufzte nur müde und schluckte die Worte herunter, die ich sagen wollte.

Achter Jahrestag? Das spielte keine Rolle mehr. Nichts spielte mehr eine Rolle. Denn morgen würde ich weg sein.
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