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Kapitel 2

Author: Stachelline

Wenn ich früher gewesen wäre, hätte ich Philipps Vorschlag sicher heftig widersprochen.

Und er wusste genau, wie ich ticke – kaum hatte er diese Entscheidung ausgesprochen, holte er sofort meine Eltern ins Spiel.

„Mama und Papa sind schon älter und können sich nicht mehr so gut um Lena kümmern.“

„Jetzt sind wir dran, mehr Verantwortung zu übernehmen …“

Bevor Philipp seinen Satz beenden konnte, lief Leon hektisch zu mir herüber und schüttelte unaufhörlich meinen Arm, seine Stimme voller Schmollerei.

„Mama, lass doch die Tante bei uns wohnen!“

„Wenn du nicht willst, dass sie mit uns zusammenlebt, dann gebe ich mein Zimmer ab.“

„Bitte, Mama, sag ja zu Papa …“

Leon benahm sich gerade ganz anders als sonst – so hatte ich ihn seit seiner Geburt nie erlebt.

Er war sonst immer genauso ernst wie Philipp, zeigte kaum Gefühle, und seine Fürsorge mir gegenüber war stets eher oberflächlich.

Doch jetzt …

War er bereit, für Lena auf seine eigene Komfortzone zu verzichten.

Seine Fingernägel ritzten sich tief in mein Handgelenk und hinterließen rote Spuren.

Ich holte tief Luft und löste seine Hand schweigend.

„Eurem Vorschlag stimme ich zu!“

„Wenn es sonst nichts mehr gibt, dann werde ich mich jetzt ausruhen.“

Ich drehte mich um und legte mich wieder ins Schlafzimmer.

Verschlafen nahm ich wahr, wie sich die Zimmertür öffnete und ein kalter Luftzug hereinwehte.

Mit einem dumpfen Geräusch legte jemand etwas auf den Nachttisch.

Mein Körper war zu müde, um die Augen zu öffnen.

Vage hörte ich Philipps Stimme.

„Clara? Clara Lindner!“

Als ich nicht reagierte, schubste Philipp mich kräftig am Arm.

Ein stechender Schmerz durchzog meinen Kopf, und ich zwang mich, die Augen zu öffnen und ihn anzusehen.

„Was ist los?“

Meine heisere Stimme erregte keine Aufmerksamkeit, stattdessen rügte mich Philipp.

„Hier liegen so viele Dinge an – wie kannst du es dir leisten, zu schlafen?“

„Ich habe eine kräftigende Suppe für Lena gekocht. Ich bringe sie jetzt zu mit Leon. Räum bitte die Küche auf.“

Lustig! Nach all den Jahren unserer Ehe wusste ich nicht einmal, dass Philipp kochen konnte.

Die ganze Zeit hatte ich ihn versorgt, und trotzdem war er oft unzufrieden.

Während ich innerlich all das reflektierte, kam Philipp schon mit seiner üblichen Ungeduld wieder.

„Worauf wartest du? Beweg dich!“

Ich kenne Philipps Charakter gut.

Vor allem in Sachen Lena klebt er wie ein Schatten an uns.

Ich wollte keine Zeit mit Streit verschwenden und stand auf.

Als er meine Bewegung sah, verließ er beruhigt mit Leon den Raum.

Ich sah ihren Schatten verschwinden und legte mich wieder hin.

Am nächsten Morgen weckte mich ein lautes Klopfen.

Kaum hatte ich das Schlafzimmer verlassen, hörte ich Philipps eilige Stimme.

„In der Firma gibt es einen Notfall. Bring Leon zur Schule und gib Lena danach das Frühstück.“

Mit einem lauten Knall knallte die Tür ins Schloss.

Das Haus wurde still.

Gerade wollte ich die Essensbox auf den Tisch stellen, da überkam mich ein starker Schwindel.

Die Welt verdunkelte sich, nur noch Leon kam hastig auf mich zugerannt.

Vielleicht …

Gibt es doch noch einen Funken Sorge um mich?

Doch …

Ich täuschte mich.

Als ich wieder die Augen öffnete, lag ich auf dem Boden, die Kälte kroch tief in meine Muskeln und durchdrang meine Knochen.

„Papa, wenn ich nicht so schnell rausgelaufen wäre, wäre das Frühstück von Tante fast im Müll gelandet.“

Philipp strich Leon über den Kopf und lobte ihn.

„Leon, du bist großartig! Wenn Tante das wüsste, wäre sie bestimmt glücklich.“

Das Gesprächsthema von Vater und Sohn drehte sich nur um Lena, ohne mir, die am Boden lag, auch nur einen Blick zu schenken.

Der stechende Schmerz bohrte sich in mein Herz, ein metallischer Geschmack stieg mir in die Kehle.

Mit Mühe kämpfte ich mich auf die Beine.

Es war kaum ein Geräusch, doch offenbar laut genug, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken.

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