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Kapitel 5

Author: Frühling
Als sie die Kälte in seinen Augen sah, dachte Marie nur, dass sie früher wohl blind gewesen sein musste, sich in einen solchen Mann zu verlieben.

Ihre Augen brannten vor Tränen, doch sie wollte sich vor ihm keine Schwäche anmerken lassen.

Mit einem energischen Ruck riss sie sich von seinem Griff los, atmete tief durch und drehte sich um, um die Treppe hinaufzugehen.

In diesem Moment hatte sie nur einen Gedanken: Sie musste so schnell wie möglich einen Job finden, damit sie ausziehen und einen Weg finden konnte, sich von Felix scheiden zu lassen.

Oben zog sie sich hastig etwas aus dem Schrank an, band ihr langes Haar mit einer schlichten Perlenhaarnadel zu einem lockeren Knoten und ging dann nach unten.

Marie war ein unkomplizierter Mensch und kümmerte sich nicht viel um Mode oder Äußerlichkeiten. Früher, wenn sie zu den Familienfeiern der Schneiders eingeladen war, hatte sie sich immer besonders viel Mühe gegeben, um bei den Familienmitgliedern einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Doch jetzt war es ihr egal.

Als Felix die Schritte hörte, hob er unwillkürlich den Kopf.

Marie trug ein schlichtes, eng geschnittenes weißes Kleid, das ihre schmale Taille zur Geltung brachte – so zierlich, dass es wirkte, als könnte man sie mit einer Hand umfassen. Ihr dunkles Haar war mit einer Perlenhaarklammer locker festgesteckt und ließ ihren schlanken, weißen Nacken frei, was sie noch eleganter wirken ließ.

Ihr ruhiger, sanfter Charme erinnerte Felix an die erste Begegnung mit ihr.

Doch ihr Blick war jetzt eiskalt und hatte nichts mehr von der Wärme von damals.

„Gehen wir.“

Auf dem Weg zur Villa der Schneiders herrschte Schweigen zwischen ihnen.

Als sie am Eingang ankamen und gerade aussteigen wollten, raste ein schwarzer Range Rover heran, bremste abrupt und kam direkt vor ihrem Auto zum Stehen.

Felix erkannte den Wagen sofort und seine Miene verfinsterte sich.

Es war Lukas' Auto.

Felix hatte ein gespaltenes Verhältnis zu seinem jüngeren Onkel: Er fürchtete ihn und mochte ihn gleichzeitig nicht. Am liebsten hätte er jeden Kontakt zu ihm vermieden, denn Lukas war bekannt dafür, stets nach seiner eigenen Laune zu handeln, was Felix einfach nicht ausstehen konnte.

Damals, als der Patriarch der Schneiders geplant hatte, Lukas die Leitung des Familienunternehmens zu übergeben, hatte dieser das Angebot abgelehnt und lieber sein eigenes Unternehmen gegründet.

Jeder hatte erwartet, dass er scheitern und reumütig zurückkehren würde, um die Schneider-Gruppe zu übernehmen. Doch Lukas hatte alle überrascht: Er hatte Erfolg. Und nicht nur das – in weniger als fünf Jahren hatte er sein Unternehmen zu einem Imperium ausgebaut, das nun das Fünf- oder Sechsfache der Schneider-Gruppe wert war.

Felix' Abneigung gegenüber Lukas wurde auch von Neid und Bitterkeit genährt.

Dazu kam, dass Lukas nachtragend war. Als Felix einmal eine abfällige Bemerkung über ihn gemacht hatte, war das irgendwie zu Lukas durchgedrungen. Die Konsequenz? Lukas verweigerte die Zusammenarbeit mit der Schneider-Gruppe, was dem Unternehmen Verluste in Millionenhöhe einbrachte.

Da Lukas nur selten an Familienfeiern teilnahm, hatte Felix gehofft, ihm diesmal aus dem Weg gehen zu können. Doch offensichtlich war das Schicksal nicht auf seiner Seite – kaum angekommen, traf er Lucas..

Weil er selbst mies gelaunt war, bemerkte Felix nicht, wie Maries Gesichtsausdruck im Moment, als Lukas ausstieg, förmlich erstarrte.

Felix öffnete die Autotür und begrüßte ihn gezwungen: „Hallo, Lukas.“

Lukas drehte sich nur kurz um, ließ seinen Blick flüchtig über Felix gleiten und streifte den Beifahrersitz mit einem beiläufigen, kühlen Blick, bevor er ohne ein weiteres Wort ins Haus ging.

Erst als Lukas außer Sicht war, atmete Marie erleichtert aus.

In dem Moment, als er sie angesehen hatte, war sie so angespannt gewesen, dass sie sogar das Atmen vergessen hatte. Sie fürchtete, er könnte plötzlich etwas Unerwartetes sagen.

Lukas war schließlich bekannt dafür, launisch zu sein. Wenn er schlechte Laune hatte, bekam sogar der nächstbeste Hund einen Tritt ab.

Glücklicherweise hatte er nichts gesagt.

Marie überlegte kurz und beschloss, später eine Gelegenheit zu finden, um alleine mit Lukas zu sprechen.

Als sie und Felix das Wohnzimmer betraten, waren dort bereits viele Familienmitglieder versammelt. Lukas stand bei den Eltern, die mit ihm sprachen.

Es gibt Menschen, die wie geboren für die Hauptrolle wirken. Lukas war genau so einer. Man musste nur kurz die Menge überblicken und er stach sofort heraus.

Felix bemerkte, dass Maries Blick auf Lukas ruhte, und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich.

„Warum starrst du meinen Onkel an?“

Marie wandte den Blick kühl ab und entgegnete gelassen: „Was geht dich das an?“

Felix' Miene verdüsterte sich, als er ihre kühle Reaktion bemerkte. Mit schärferer Stimme fuhr er fort: „Marie, du weißt genau, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn du anderen Männern Aufmerksamkeit schenkst!“

Von Anfang an hatte Felix eine starke Kontrolle über ihre Beziehung ausgeübt und strikt darauf bestanden, dass sie keinen engen Kontakt zu anderen Männern pflegte. Früher hatte Marie das für Liebe gehalten und sogar für eine gewisse Zärtlichkeit empfunden.

Jetzt fand sie es einfach nur noch lächerlich.

Sie lachte kalt auf. „Und ich mag es nicht, dass du dich mit anderen Frauen ins Bett legst. Aber das hält dich ja auch nicht davon ab, was?“

Felix knirschte mit den Zähnen. „Heute ist Familienessen. Wir klären das später.“

Marie sah ihn voller Verachtung an. „Dann halt dich von meinen Angelegenheiten fern, wenn du nicht willst, dass ich darüber rede.“

Felix hielt sich zurück. Ein Streit vor der Familie könnte Konsequenzen haben, besonders weil sein Großvater alles im Blick behielt. Felix mochte zwar die Schneider Gruppe leiten, aber die Anteile lagen nach wie vor fest in den Händen des alten Herrn – kein einziger gehörte Felix selbst.

In diesem Moment bemerkte Felix’ Großmutter sie beide und lächelte erfreut. „Marie, Felix! Ihr seid da, kommt, setzt euch zu uns.“

Marie atmete tief durch und legte beim Umdrehen ein höfliches Lächeln auf.

Zwar hatte sie nie eine große Zuneigung zur Familie Schneider entwickelt, doch Respekt gegenüber älteren Menschen war für sie selbstverständlich.

„Guten Abend, Opa, Oma!“ begrüßte sie die beiden freundlich.

Die Großmutter war gerade dabei, Lukas eine Standpauke zu halten, weil er noch immer keine Frau gefunden hatte. Als sie Felix und Marie zusammen sah, hellte sich ihre Miene auf.

„Setzt euch doch.“

Doch sobald sie sich wieder Lukas zuwandte, kehrte der unzufriedene Ausdruck in ihre Augen zurück.

„Sieh dir Felix an. Er führt die Firma erfolgreich, hat eine hübsche Frau – in ein, zwei Jahren gibt’s wahrscheinlich schon Enkelkinder für uns. Und du? Fast dreißig, und immer noch allein. Wenn du das nächste Mal ohne Freundin auftauchst, kannst du gleich zu Hause bleiben!“

Lukas zuckte mit den Schultern und warf Felix und Marie einen vielsagenden Blick zu. Mit einem leicht spöttischen Unterton sagte er: „In der Tat, sehr hübsch.“

Dann murmelte er, kaum hörbar: „Bei so einer zierlichen Figur – wie viel Schmerz das wohl bei einer Geburt verursacht?“

Marie runzelte die Stirn. Sein Blick und seine Worte hatten etwas Lässiges, das sie unangenehm berührte.

Auch Felix bemerkte den unangebrachten Blick seines Onkels. Als Mann erkannte er sofort, dass Lukas sie nicht wie ein Verwandter betrachtete, sondern eher wie ein Mann, der eine Frau ins Auge fasste.

Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten, und seine Körperhaltung wurde steif.

Die Großmutter schnaubte. „Darum geht es doch gar nicht! Ich will eine klare Antwort. Wann bringst du endlich eine Schwiegertochter nach Hause?“

Lukas zuckte amüsiert die Schultern. „Wer weiß? Vielleicht morgen, wenn ich jemand Passendes treffe.“

„Mit deinen hohen Ansprüchen wirst du nie jemanden finden. Ich habe für morgen ein Treffen arrangiert. Zieh dich ordentlich an und benimm dich mal wie ein vernünftiger Mensch!“

Lukas grinste schief. „Dann solltest du dich schon mal darauf einstellen, morgen wieder einen alten Freund zu verlieren.“

Die Großmutter verdrehte die Augen und massierte sich die Schläfen. „Du wirst mich noch ins Grab bringen!“

Lukas warf Felix einen spöttischen Blick zu und hob die Augenbrauen. „Mein lieber Neffe ist schon seit Jahren verheiratet. Anstatt mich zu drängen, solltest du ihn lieber ermutigen, bald Kinder zu bekommen. Das wäre doch viel realistischer.“

Die Großmutter hielt inne und nickte nachdenklich. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, Lukas unter Druck zu setzen. Er war von klein auf stur gewesen und tat stets, was er wollte.

Sie wandte sich mit liebevollem Blick Felix und Marie zu.

„Marie, ihr seid jetzt schon einige Jahre verheiratet. Wann plant ihr, Kinder zu bekommen?“
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