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Kapitel 3

Author: Banane
3.

Mein Bruder und Onkel Richter tauschten einen Blick. Sie sahen den Jungen vor sich an, der weinte wie ein Kind. Lukas presste die Lippen zusammen und überlegte, wie er ihm diese möglicherweise schreckliche Nachricht überbringen sollte.

„Wir haben gerade eine unidentifizierte weibliche Leiche gefunden ...“ Lukas’ Stimme klang tief und mit einem Hauch von Mitgefühl.

Dem Jungen gaben die Beine nach, er wäre beinahe auf den Boden gesunken. Immer wieder murmelte er: „Das kann nicht sein, das kann nicht sein ...“

Fast musste man ihn stützen, als er zur Aufnahme der Personalien geführt wurde.

In diesem Moment klingelte plötzlich sein Handy.

Eine fröhliche weibliche Stimme ertönte: „Kleiner, wo bist du denn? Warum bist du nicht zu Hause? Ich bin zwei Tage mit dem Zug gefahren und wollte dich überraschen!“

„Schwester! Ich dachte, dir wäre etwas zugestoßen. Ich komme sofort nach Hause!“

Der Junge wischte sich die Tränen ab, verbeugte sich dankbar vor ihnen und rannte schnell davon.

Auch mein Bruder und ich atmeten erleichtert auf.

Trotz intensiver Ermittlungen kehrten allmählich alle ausgesandten Detektive zurück, doch keiner brachte verwertbare Hinweise mit.

Mein Bruder runzelte wieder die Stirn, denn die Zeit verstrich, während der Fall keinen Schritt vorankam.

Zwei Tage später.

Onkel Richter kam besorgt zu meinem Bruder.

„Lukas, irgendetwas stimmt hier nicht. Emma ist seit mehreren Tagen nicht erreichbar. Das ist einfach nicht normal.“

Mein Bruder war bereits gereizt, weil der Fall nicht voranging. Als er jetzt meinen Namen hörte, platzte ihm der Kragen.

„Onkel Richter, ich sage doch, es ist alles in Ordnung! Ich habe jetzt keine Zeit, mich um sie zu kümmern. Ich muss mich um Luna kümmern, sonst verpasse ich noch ihre Volljährigkeitsfeier.“

Onkel Richter wurde wütend: „Lukas Sommer, sei nicht so stur! Emma könnte wirklich etwas zugestoßen sein. Wenn du dich nicht kümmerst, dann tue ich es.“

Mein Bruder winkte verächtlich ab. „Wie du willst. Ich kümmere mich jedenfalls nicht um sie. Am besten kommt sie gar nicht zurück, dann muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen.“

Onkel Richter schimpfte hinter ihm her: „Was für einen Idioten habe ich da bloß großgezogen!“

Ich versteckte mich in der Ecke und sah zu, wie Onkel Richter mich verteidigte. Unwillkürlich liefen mir die Tränen übers Gesicht.

Lukas, wann würdest du endlich begreifen, dass mir wirklich etwas zugestoßen war?

Kaum war mein Bruder aus der Tür, klingelte sein Telefon.

„Guten Tag, sind Sie der Bruder von Emma Sommer? Ich bin ihr Professor. Es gibt ein kleines Problem mit ihrer Abschlussarbeit, aber ich kann sie nicht erreichen. Könnten Sie ...“

Bevor der Professor zu Ende sprechen konnte, unterbrach mein Bruder ihn ungeduldig.

„Woher soll ich wissen, wo sie hingelaufen ist? Nerven Sie mich nicht damit. Ob sie lebt oder tot ist, geht mich nichts an!“

Damit legte er wütend auf.

Mein Bruder war so zornig, dass sein Gesicht fahl vor Wut wurde. Er zückte sein Handy und tippte mir wütend eine Nachricht.

„Reicht es dir jetzt endlich? Wenn du dich nicht bei Lunas Volljährigkeitsfeier blicken lässt, bring ich dich eigenhändig um!“

Mir liefen still die Tränen übers Gesicht.

Lukas, ich hatte mich doch nicht geweigert zu kommen.

Ich lag doch schon seit zwei Tagen im Obduktionsraum nebenan!

In diesem Moment betrat Luna Stein mit einer Brotdose das Detektivbüro.

Lukas’ Augen leuchteten auf, er lächelte warm und ging ihr entgegen.

„Luna, was machst du denn hier?“

Luna strahlte süß. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht und dir extra etwas Leckeres mitgebracht.“

Mein Bruder strich ihr liebevoll über den Kopf. „Luna ist einfach die Beste. Nicht wie diese undankbare Göre, die mir nur Ärger macht.“

Tränen schimmerten in Lunas Augen.

Mein Bruder wurde sofort nervös und fragte besorgt: „Was ist denn los? Luna, hat dich jemand geärgert?“

Luna biss sich auf die Lippe, als ob sie gekränkt wäre. „Vorhin habe ich Emma auf der Straße getroffen. Ich wollte sie grüßen, aber sie hat mich einfach geschubst und mir dieses Medaillon zugeworfen. Sie sagte, sie wolle nichts mehr mit dir zu tun haben.“

Mein Bruder schaute nach unten und sah tatsächlich eine rote Schwellung an Lunas Knie.

Er zückte sein Handy, um mich anzurufen, und fluchte wütend: „Diese verdammte undankbare Göre!“

Onkel Richter schnappte sich das Medaillon sofort. „Du sagst, Emma hat dir das gerade eben zugeworfen?“

Luna nickte erschrocken und versteckte sich hinter meinem Bruder.

„Onkel Richter, ich hab’s doch gesagt, dass mit der Kleinen alles in Ordnung ist. Und dann wagt sie es auch noch, Luna zu schubsen. Die kriegt was von mir zu hören!“

Doch Onkel Richter schüttelte ernst den Kopf. „Das ist unmöglich. Dieses Medaillon hat Emma seit ihrer Kindheit getragen. Es ist das einzige Andenken ihrer Mutter. Sie hängt sehr daran, sie würde es niemals einfach wegwerfen.“

Mein Bruder schaltete den Lautsprecher ein. „Hör zu, die Göre wird sofort rangehen.“

Doch ich hätte nicht gedacht, dass diesmal tatsächlich jemand abhob.

Mein Bruder brüllte sofort los: „Emma Sommer, komm sofort ins Büro! Du wagst es, Luna anzufassen? Willst du etwa sterben?“

Am anderen Ende zögerte jemand einen Moment, bevor er sprach: „Herr Sommer, das Handy wurde am Tatort gefunden.“
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