LOGINBlair winkte ein Taxi heran. Sie stieß die Taxitür auf und stieg so schnell sie konnte auf den Rücksitz, entschlossen, so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Sie hatte Lust, sich zu betrinken. Aber wenn sie tagsüber allein in eine Bar ging, würde das nur Ärger bedeuten. Sie spürte, wie ihr die Tränen ungehindert über das Gesicht liefen. Sie hatte sich zusammenreißen müssen, als sie Dan und Laura gegenübergestanden hatte.
„Wohin?“, fragte der Fahrer, seine Stimme durchdrang den Nebel in ihrem Kopf. Wohin? Gute Frage. Nach Hause konnte sie nicht. Sutton und Keira waren bei der Arbeit, und sie wollte nicht in ihrer leeren Wohnung sitzen und sich immer wieder vorstellen, wie Dan ihre Cousine gefickt hatte. Sie brauchte einen Drink. Aber mitten am Nachmittag allein in einer Bar sitzen? Das kam ihr vor, als würde sie die weiße Fahne hissen. Sie zögerte, dann gab sie die Adresse ihres Büros. Dort konnte sie wenigstens so tun, als wäre sie produktiv. Vielleicht würde ihr sogar einfallen, was sie als Nächstes tun sollte. Das Taxi fuhr vom Bordstein weg und sie atmete aus, um sich zu beruhigen. Der Fahrer sah sie im Rückspiegel an. „Im Fach in der Mitte liegen Taschentücher, falls Sie welche brauchen, Schätzchen.“ Die Stimme des Fahrers war sanft, als hätte er schon genug Frauen auf seinem Rücksitz weinen sehen, um zu wissen, wann er sprechen und wann er schweigen musste. Blair nahm eine Handvoll. „Danke“, sagte sie, bevor sie sich so gut es ging das Gesicht abwischte. Sie trug nicht viel Make-up, also konnte sie sich genauso gut das Gesicht reinigen. Ihr Handy begann zu klingeln. Dan? Sie holte es trotzdem aus ihrer Tasche, um nachzusehen. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie auf den Bildschirm starrte, auf dem sein Name in leuchtend weißen Buchstaben leuchtete. Sie konnte sich genau vorstellen, was er als Erstes sagen würde. „Es ist nicht so, wie es aussieht, Blair.“ „Ich kann es erklären.“ „Bitte, lass mich mit dir reden.“ Lügen. Ausreden. Der gleiche Mist, den Männer immer von sich gaben, wenn sie erwischt wurden. Sie schaltete das Handy auf lautlos und steckte es zurück in ihre Tasche. Als das Taxi vor Kingston Industries hielt, war ihr Make-up nicht mehr zu retten. Sie griff in ihre Handtasche, kramte einen zerknitterten Zwanziger heraus und gab ihn dem Fahrer. „Seien Sie ehrlich“, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Sehe ich aus wie eine Frau, die gerade herausgefunden hat, dass ihr Verlobter mit ihrer Cousine schläft?“ Der Fahrer zögerte und musterte sie vorsichtig. „Ihre Augen sind ein bisschen rot, Schatz, aber das fällt kaum auf.“ Er hielt inne. „Ist alles in Ordnung?“ Die unerwartete Freundlichkeit brachte sie fast aus der Fassung. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals und nickte. „Ja. Besser jetzt als später, oder? Nur eine kleine Unebenheit auf dem Weg des Lebens.“ Sie war sich nicht sicher, wen sie davon überzeugen wollte – den Taxifahrer oder sich selbst. Sie stieg aus dem Taxi, hob ihren Koffer auf den Bordstein und atmete tief durch. Blair holte ihr Handy heraus und sah, dass Dan sie sechs Mal angerufen und sechs Nachrichten auf ihrer Mailbox hinterlassen hatte. Da sie kein Interesse daran hatte, was er zu sagen hatte, steckte sie das Handy wieder in ihre Handtasche. Blair wandte sich dem hoch aufragenden Glas- und Stahlbau von Kingston Industries zu. Roman hatte das Gebäude vor fünf Jahren gekauft. Die obersten acht Stockwerke gehörten Kingston, die unteren drei waren an kleinere Unternehmen vermietet. Angesichts der Expansion des Unternehmens würde es sie nicht wundern, wenn sie irgendwann das gesamte Gebäude übernehmen würden. Sie ging hinein und rückte ihre Tasche auf ihrer Schulter zurecht. „Miss Warner, kann ich Ihnen helfen?“ Blair blinzelte. Maggie, eine der Empfangsdamen, war hinter dem Empfangstresen hervorgetreten und musterte Blair mit einem flüchtigen Blick. Maggie kam noch näher und nahm ihr den Koffer ab. In derselben Hand hielt Blair immer noch den Schläger. Sie hatte völlig vergessen, dass sie ihn überhaupt in der Hand hielt. Blair war in das Büro gegangen, als würde sie gleich ein Verbrechen begehen. Sie war jedoch froh, dass sie ihn noch hatte. Es war etwas, das sie später nicht mehr holen musste. Blair atmete erleichtert aus. „Danke, Maggie. Kann ich alles hier lassen, während ich mich frisch mache?“ Sie war überrascht, dass ihre Stimme so ... normal klang. „Natürlich, Miss Warner.“ Maggies Blick huschte erneut zu dem Baseballschläger. „Blair, bitte. Wie oft muss ich dir das noch sagen?“ Roman bevorzugte Vornamen, aber einige Mitarbeiter, insbesondere die neueren, schienen damit Probleme zu haben. Bei Roman mehr als bei ihr. Maggie lächelte und nahm den Koffer, die Aktentasche und den Schläger. Blair ging durch die Eingangshalle zum Waschraum. Dort ging sie direkt zu den Spiegeln. Der Taxifahrer war nicht nur freundlich gewesen. Sie sah wirklich nicht so schlecht aus. Sie zog ein Make-up-Tuch aus ihrer Tasche und entfernte die letzten Reste von Mascara. Ein bisschen Puder, etwas Lipgloss, ein wenig Eyeliner. Sie kniff sich in die Wangen. Die Leute sagten immer, das würde Farbe verleihen, aber sie sah keinen Unterschied. Ihre blauen Augen waren immer noch ein wenig gerötet, aber dagegen konnte sie nicht viel tun. Sie holte eine Bürste heraus, löste ihr langes, welliges blondes Haar aus dem Dutt und frisierte es ordentlich. Das reichte. Sie verließ die Toilette, holte ihre Sachen von Maggie und ging zu den Aufzügen. Während sie wartete, versuchte sie sich an Romans Terminplan zu erinnern. Hatte er heute Nachmittag noch Besprechungen? Dann fiel es ihr ein. Er hätte heute gar nicht zu Hause sein sollen. Also waren auch keine Besprechungen in seinem Kalender eingetragen. Sie seufzte. Ihr Gehirn war wie ausgelaugt. Aber wenn man seinen Verlobten beim Sex mit der eigenen Cousine erwischt, ist das wohl normal. Der Gedanke ließ sie die Stirn runzeln. Wie oft hatten sie das schon gemacht? Dan war an einem Arbeitstag zu Hause gewesen. Sie war gelegentlich beruflich unterwegs, aber nicht so oft. Wenn ihre Affäre schon seit Monaten andauerte, mussten sie sich während der Arbeitszeit getroffen haben. Der Aufzug kam. Eine Frau, die sie nicht kannte, stieg mit ihr ein. Blair lächelte höflich und gezwungen. Als die Frau im zweiten Stock ausstieg, lehnte Blair sich gegen die Wand und starrte vor sich hin. Sollte sie Roman von Dan erzählen? Das würde sich wie Neid anfühlen ... ihn nur wegen seiner Untreue zu verpetzen. Aber er betrog auch die Firma. Es war unmöglich, dass er nach Hause fahren, Sex mit Laura haben und während der Mittagspause wieder im Büro sein konnte. Der Aufzug öffnete sich mit einem Klingeln. Blair atmete tief ein, bevor sie auf die Chefetage trat. Kara, die Empfangsdame in der Chefetage, sah auf. „Hey, Blair. Ich hätte nicht gedacht, dass du heute kommst.“ Blair lächelte. „Ich hatte es nicht vor, aber ich dachte, ich fange schon mal mit den Besprechungsnotizen für Roman an. Ist er da?“ Kara schüttelte den Kopf. „Nein, er ist vor einer Weile gegangen und hat mir gesagt, ich soll alle Nachrichten entgegennehmen und alles bis morgen erledigen.“ Blair sank fast vor Erleichterung in sich zusammen. Sie musste ihm noch nicht gegenübertreten. „Danke, Kara.“ Sie ging in ihr Büro, schloss die Tür und ließ sich in ihren Stuhl fallen. Blair legte den Kopf auf den Schreibtisch. Scheiße. Sie fühlte sich, als hätte eine Abrissbirne ihre Welt in zwei Teile gespalten. Wie konnte er nur? Aber noch schlimmer war, wie konnte Laura das tun? Die kindischen Probleme, die sie alle als Kinder gehabt hatten, hatte Blair für überwunden gehalten. Laura war schon immer ein verwöhntes Gör gewesen. Sie nahm sich, was ihr nicht gehörte. Das Problem waren ihre Eltern, Blairs Tante und Onkel, die sie verwöhnten und ihr alles gaben, was sie wollte. Aber als sie vor zwei Jahren in die Stadt gezogen waren, war Laura noch nicht so schlimm gewesen, sonst wäre Blair längst zu ihren Schwestern gezogen. Sie hatte es nicht getan, als Sutton aus Europa zurückgekommen war, weil ihre Schwester Keira gerade ihr Studium abgeschlossen und einen neuen Job angefangen hatte. Sutton war bei Keira eingezogen. Sie hätte sich schuldig gefühlt, Laura allein zu lassen, um bei ihren Schwestern einzuziehen. Was hätte das überhaupt für einen Sinn gehabt? Sie und Dan hatten geplant, sich nach der Hochzeit eine eigene Wohnung zu nehmen. Blair hob den Kopf und blickte auf den Ring an ihrem Finger. Den Verlobungsring, den Dan ihr geschenkt hatte. Er war nicht groß. Sie hatte keinen großen Ring gewollt. Sie würde dafür sorgen, dass er ihn zurückbekam. Er konnte ihn verkaufen. Denn sie war sich sicher, dass Laura einen großen, auffälligen Ring haben wollte. Sie hatte sich immer über Blairs Ring lustig gemacht. Blair nahm ihn ab und wollte ihn quer durch den Raum werfen. Nein, nur für den Fall, dass er verloren ging. Sie öffnete die oberste Schublade ihres Schreibtisches, ließ ihn hineinfallen und schlug die Schublade zu. Sie brauchte einen Drink. Blair stand auf und ging in Romans Büro, wo sie wusste, dass er eine Flasche Scotch aufbewahrte. Sie trank nicht viel Alkohol, aber jetzt war ihr alles recht. Romans Büro war ein Spiegelbild seines Charakters. Alles war groß, stark und maskulin. „Und einschüchternd“, sagte Blair zu dem leeren Raum. Sie ging zu seinem Schreibtisch, öffnete die unterste Schublade und holte die Flasche Scotch heraus, die Roman dort aufbewahrte. Sie nahm sie, setzte sich auf sein Chesterfield-Sofa am Fenster und öffnete die Flasche. Sie nahm einen Schluck und hätte ihn fast wieder ausgespuckt. „Heilige Scheiße, das brennt.“ Blair wusste, dass es eine teure Flasche war. Denn Roman mochte nur das Beste. Das Problem war, dass es pur war. Warum mochte er dieses Zeug pur? Als sie die Flasche an den Mund setzte, achtete Blair diesmal darauf, nur einen kleinen Schluck zu nehmen. Nein, das half nicht. Aber es war nicht so schlimm wie beim ersten Schluck. Also nahm sie noch einen. Sie lehnte den Kopf gegen die Lehne des Sessels. Sie war hierhergekommen, um nachzudenken. Was sollte sie als Nächstes tun? Sie hob die Hand, um auf die Uhr zu sehen, und stellte fest, dass es 15:15 Uhr war. Sie konnte Sutton oder Keira nicht anrufen. Noch nicht. Sie sollten erst von der Arbeit nach Hause kommen. Blair hatte vor, Sutton und Keira zu bitten, ihr dabei zu helfen, ihre Sachen aus der Wohnung zu holen. Allerdings wollte sie ihre ältere Schwester Sutton nicht zu sehr unter Druck setzen. Sie war im sechsten Monat schwanger, und es war keine leichte Schwangerschaft gewesen. Männer. Warum waren sie nur solche Arschlöcher? Zuerst ihr Chef, der so arrogant und einschüchternd und manchmal unhöflich war. Dann Dan, der sie seit Monaten mit ihrer Cousine Laura betrog. Wie tief konnte man sinken? Und dann war da noch Luca, der Vater von Suttons Baby. Der hatte sie einfach sitzen lassen, schwanger und auf sich allein gestellt. Sie würde ihre Schwestern später anrufen. Nicht jetzt. Dann würde sie sehen, ob sie bei ihnen unterkommen konnte, bis sie etwas anderes gefunden hatte. Ihre Wohnung war nicht groß genug für drei Erwachsene und ein Baby. Wenn es denn kam. Aber es wäre toll, etwas Zeit mit ihren Schwestern zu verbringen. Eis essen und über Männer lästern. Obwohl Sutton nicht einmal über den Mann sprach, der sie schwanger gemacht hatte. Das war ein Thema, über das sie nicht reden wollte. Selbst als ihre Tante Viv und ihr Onkel Peter Antworten verlangten. Blair hob die Flasche wieder an ihren Mund. Nur sie und Keira kannten seinen Vornamen. Das Telefon auf Romans Schreibtisch begann zu klingeln. Blair versuchte, es zu ignorieren, aber sobald es aufgehört hatte zu klingeln, fing es wieder an. Blair rückte an den Rand der Lounge und stand auf. Der Raum schien sich leicht zu neigen, sodass ihr ein kurzes „Ups“ über die Lippen kam. Nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, ging sie zum Telefon und hob den Hörer ab. „Hallo?“, sagte sie in den Hörer. Nicht sehr professionell, fand sie. „Roman bitte.“ Blair kannte die Stimme. Es war Claire Robertson. Romans kleine Flittchen. Das war die beste Beschreibung für Claire. Sie hatte diese dumme Mädchenstimme, die Blair auf die Nerven ging. „Roman ist nicht hier.“ Blair stützte sich auf Romans Schreibtisch, um nicht zu schwanken. „Wo ist er?“ fragte Claire. „Woher soll ich das wissen?“ Blair war überrascht von ihrer Antwort. Mist, wo kam das denn her? „Sie sind seine Sekretärin.“ Blair konnte die Wut in der Stimme der anderen Frau hören. „Ja, aber ich bin nicht seine Aufpasserin und ich habe ganz sicher keine Kristallkugel. Rufen Sie ihn auf seinem Handy an oder schreiben Sie ihm eine Nachricht.“ Blair hatte genug von diesem Gespräch. „ „Er geht nicht ans Handy, schon seit Tagen nicht mehr“, jammerte Claire. Blairs Lippen öffneten sich leicht. Oh. Das war Romans Vorgehensweise. Er stritt nicht, machte keine dramatischen Abgänge. Er fing einfach an, sich zurückzuziehen, bevor er endgültig Schluss machte. Wenn Claire seit Tagen nichts von ihm gehört hatte, war es vorbei. Sie wusste es nur noch nicht. Der kleine Teufel auf ihrer Schulter hatte sie dazu gebracht. Aber Blair konnte die nächsten Worte nicht zurückhalten. „Nun, eines von zwei Dingen ist passiert. Entweder wirst du bald verlassen, oder er ist tot. So oder so, Blumen werden dabei eine Rolle spielen.“ Blair seufzte, als sie den schockierten Atemzug am anderen Ende der Leitung hörte, der Scotch wärmte ihre Adern und lockerte ihre Zunge. „Hör zu, Claire, seien wir ehrlich. Er ist kein Mann zum Heiraten. Such dir jemand Neues.“ Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern legte einfach auf, indem sie den Hörer zurück auf die Gabel legte. Sie sank zurück auf das Chesterfield-Sofa und hob die Flasche wieder an ihre Lippen. Ihre eigenen Probleme tauchten wieder auf und quälten sie. Wie konnte sie so blind sein? Wie hatte sie die Anzeichen nicht bemerkt? Sie war doch keine Idiotin. Aber Dan war ein Verkäufer. Er hatte ihr den Traum vom glücklichen Leben verkauft. Sie hatte einfach die Risse in ihrer Beziehung übersehen. Nicht nur das, es schien, als hätte ihr etwas in ihrem Sexleben gefehlt. Wenn das, was sie zwischen Dan und Laura gesehen hatte, ein Hinweis darauf war, wie es eigentlich sein sollte. Sie hatte es zwar genossen, aber es war nichts, was sie so laut schreien ließ wie Laura. War das, um sein Ego zu streicheln? Hätte sie das tun sollen? Die Sache war, sie wusste es nicht. Dan war ihr einziger Sexualpartner gewesen. Es hätte seine Aufgabe sein müssen, sie aufzuklären. Sie verlor das Zeitgefühl, während sie dort saß, trank und auf das gesamte männliche Geschlecht fluchte. Es war ihr ehrlich gesagt völlig egal. Nach einer Weile seufzte Blair, hob die Flasche wieder ... und hielt inne, als sie zwei große, verschwommene Gestalten vor sich stehen sah. Moment. Nein. Nicht zwei. Nur eine. Blair blinzelte. „Hi.“ Sie versuchte sich aufzurichten und die Flasche an den Mund zu führen, aber bevor sie einen weiteren Schluck nehmen konnte, wurde sie ihr aus der Hand gerissen. „Hey“, protestierte sie. „Die gehört mir. Wenn du eine willst, such dir deine eigene.“ Sie blinzelte und versuchte, scharf zu sehen. Der Mann, der vor ihr stand ... derjenige, der die Flasche hielt, wurde deutlicher sichtbar. „Roman?“ „Blair“, sagte er mit unlesbarer Stimme. „Was hast du dir angetan?“ „Nun“, sagte sie leicht lallend, „ich denke, das ist ziemlich offensichtlich. Wie du sehen kannst, bin ich sturzbetrunken.“ Sie griff nach der Flasche. „Jetzt gib sie mir zurück, damit ich das zu Ende bringen kann.“ Roman trat zurück und stellte die Flasche auf seinen Schreibtisch. „Ich glaube, du hast genug.“ Blair runzelte die Stirn. „Weißt du ... manchmal kannst du ein Arschloch sein. Nein, meistens.“ „Ich glaube, du wirst das morgen bereuen.“ Dann, zu ihrer Überraschung, statt sie anzuschreien, setzte er sich neben sie.Sutton war seit 5:17 Uhr hellwach, diesmal nicht wegen der Tritte ihres Babys.Sie konnte einfach nicht schlafen. Ihre Gedanken rasten. Also lag sie da, bis es Zeit zumAufstehen war, und dachte an Luca und das Baby. Seinen Heiratsantrag und dasJobangebot. Als das Licht im Zimmer schimmerte und bis zur Tür hochstieg, stand sieauf, um zur Arbeit zu gehen … es war schließlich Freitag.Sie duschte und zog sich an und rief den Fahrdienst an, während sie mit dem Frühstückfertig war.Im Auto auf dem Weg ins Büro schrieb sie Jake:Sutton: Hast du heute Lust auf Mittagessen?Jake: Sicher … Alles in Ordnung?Sutton: Ja, ich muss nur mit jemandem reden, dem ich vertraue und der nicht zur Familiegehört.Jake: Okay, ich freue mich, dass du zu mir kommen kannst.Gegen Mittag saßen sie in einem kleinen Café ein paar Blocks vom Büro entfernt. Es wartoll, weil es nicht zu laut war. Sutton hatte schon einmal hier gegessen; das Essen wargut, und sie hatten das beste Sauerteigbrot. Es war auch nur
Das Restaurant, für das Luca sich entschied, war weder dramatisch noch protzig. Es warnicht dieser turmhohe Ort, in dem man ein Jackett tragen musste und der die Medienanlockte, um Fotos von den Reichen und Berühmten zu schießen. Stattdessen lag esversteckt hinter einer schmalen Straße abseits der Hauptstraße. Die Tische waren mitKerzen in Einmachgläsern dekoriert, es gab grobe Holznischen, und im Hintergrund liefsanfte italienische Musik. Sutton gefiel das.Noch mehr gefiel es ihr, dass Luca nicht versuchte, den Verführer zu spielen. Er berührteihre Hand nicht über den Tisch hinweg, beugte sich nicht zu nah vor. Er saß ihr einfachgegenüber, eine Hand ruhte neben seinem Weinglas, die andere berührte gelegentlichseine Lippe, während er sie beobachtete.Sie schob Spaghetti auf ihrem Teller hin und her, unschlüssig, warum sie sich nicht dazuüberwinden konnte, mehr zu essen. Ihr war nicht übel. Sie war nur … nervös.„Schmeckt es dir nicht?“, fragte Luca sanft.Sie blickte auf. „N
Sie standen beide da, Luca mit der Anmut einer Nichtschwangeren, Sutton mit einemunbeholfenen Schritt. Sie spürte seine Hand an ihrem Ellbogen, die sie stützte, undobwohl sie die Hilfe nicht brauchte, schüttelte sie ihn nicht ab. Es war ein bisschen so,als würde man sich umdrehen, um ein Pferd in den Stall zu bringen, nachdem esdurchgegangen war.Die Krankenschwester führte sie in ein Wartezimmer. „Ich werde ein paar Kontrollendurchführen, bevor der Arzt zu Ihnen kommt.“Die Routine war normal: Gewichtskontrolle, die sie nicht beachtete. Sie war nicht eitel,aber sie wollte es trotzdem nicht wissen, nur dass sie im gesunden Bereich lag. IhrBlutdruck war leicht erhöht, aber keine Alarmglocken.Dann bombardierte die Krankenschwester sie mit Fragen. „Sind Ihre Füße oder Knöchelgeschwollen?“, während sie sich Notizen auf ihrem Tablet machte.Sutton blickte auf ihre Füße, die in die einzigen Ballerinas gezwängt waren, die nochbequem passten. „Einige abends“, gab sie zu. „Nicht so s
Sutton wurde vom leisen Summen ihres Handys auf dem Nachttisch geweckt. „Uff“,murmelte sie und drückte ihre Handfläche auf die Stelle, wo das Baby getreten hatte.„Beruhige dich da drin, ja? Mamas Rippen sind keine Boxsäcke.“Sie kniff mit verschlafenen Augen die Augen zusammen und starrte auf ihr Handydisplay.6:30 Uhr. Eine SMS von Luca.Luca: Guten Morgen. Wegen des Termins heute Nachmittag, wir können zusammen vomBüro aus hingehen.Sie stöhnte und ließ ihren Kopf aufs Kissen fallen. Der Arzttermin. Heute war sie offiziellsieben Monate alt, und ihr Körper ließ sie das nicht vergessen. Ihr Rücken schmerzteständig. Ihre Knöchel waren am Nachmittag verschwunden. Und Schlaf? Der rücktelangsam in weite Ferne, dank eines Babys, das die Nacht für die perfekte Gelegenheitzum Turnen hielt.Sutton tippte mit ungeschickten Morgenfingern eine schnelle Antwort, bevor sieversuchte, aus dem Bett zu wuchten. Was früher eine einfache Sit-up-Bewegunggewesen war, hatte sich in ein unelegantes
Nachdem sie getrunken hatten, gingen sie ins Wohnzimmer. Sutton ließ sich auf demSofa nieder und spürte die Erschöpfung des Tages tief in ihren Knochen.Luca setzte sich neben sie, nicht zu nah, aber nah genug, dass sie seine Wärme spürenkonnte. Er war wie ein Ofen. Etwas, das sie im Winter mit ihm im Bett genossen hatte.„Du siehst müde aus“, murmelte er. „Soll ich dich nach Hause bringen?“Bevor sie antworten konnte, erschien Keira mit verschränkten Armen vor ihnen. „Also“,sagte sie unverblümt. „Was genau willst du von meiner Schwester? Denn wenn du nurdas Baby verlieren kannst, braucht sie mehr als das, und sie hat es auch verdient.“„Keira!“, zischte Sutton beschämt. Sie hätte wissen müssen, dass dies die Ruhe vor demSturm war.Luca, das musste man ihm lassen, zuckte nicht zusammen und wich dem Kampf nichtaus. Sich Keira entgegenzustellen war der beste Weg, mit ihr umzugehen. „Ich habe vor,zuerst für sie da zu sein. Für unser Kind. In jeder Funktion, die sie mir erlaubt.“„
Keira fuhr, wie sie alles andere auch tat, mit höchstem Selbstvertrauen. Suttonvermutete, es könnte daran liegen, dass sie die Jüngste war. Sie war noch sehr junggewesen, als ihre Eltern starben.Während Keira ihr erzählte, was auf der Party passiert war, auf der sie gestern Abend mitihrem Chef gewesen war …„Und dann tauchte diese Diplomatengattin auf“, sagte Keira und bremste gerade nochvor einer gelben Ampel ab, an der sie hätte anhalten können. „Sie trug genau dasselbeDesignerkleid wie die Geliebte des Botschafters … die eigentlich gar nicht dort seinsollte, und ich schwöre bei Gott, Sutton, du hättest die Spannung mit einem Messerschneiden können. Es war nicht so, dass die Frau nichts gewusst hätte, was los war.Aber die goldene Regel: Lass die beiden nie gleichzeitig im Zimmer sein. Ich würdesagen, nach diesem kleinen Stunt ist die Geliebte auf dem Absprung. Die Familie derFrau ist diejenige mit dem Geld.“Sutton umklammerte die Türklinke, als Keira zu schnell um eine K