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Kapitel 3

Weißer Sand
Kaum hatten sie mich fertig beschimpft, stürmten die beiden wie der Wind zurück zu Vanessa.

Ich hob den Untersuchungsbericht auf und blätterte ihn mit zitternden Händen durch.

Darin stand, Vanessa sei über längere Zeit misshandelt worden. Unterernährung. Depressionen. Verfolgungswahn.

Nachdem ich alles gelesen hatte, stürzte ich hinaus, um mich zu verteidigen.

Draußen waren die Ärzte bereits gegangen. Die drei Brüder hatten Vanessa in ihre Mitte genommen.

Jan schälte ihr gerade einen Apfel. Niklas hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und sprach leise auf sie ein.

Als Christian mich sah, verzog er angewidert das Gesicht. „Was willst du hier? Nachsehen, ob wir zu Hause sind, damit du wieder eine Gelegenheit findest, Vanessa zu schikanieren?“

Vanessas Augen röteten sich sofort. Mit feuchtem Blick sah sie mich an. „Lena, ich weiß wirklich, dass ich einen Fehler gemacht habe.“

Die drei Brüder wurden augenblicklich nervös und griffen hastig nach Taschentüchern, um ihr die Tränen abzuwischen.

Bei diesem rührenden Anblick verging mir plötzlich jede Lust, meine Unschuld zu beweisen.

Wortlos ging ich zurück in mein Zimmer, riss das Bild von der Wand, das die Brüder von uns vieren gemalt hatten, zerstach es mit einer Schere und verbrannte es dann mit einem Feuerzeug zu Asche.

All die Jahre der Zuneigung – sie gingen mit dieser einen Flamme in Rauch auf.

Ich legte mich ins Bett, steckte mir Ohrstöpsel in die Ohren, um die behagliche Geschäftigkeit draußen auszublenden, und glitt in einen dumpfen Schlaf.

Vielleicht weil ich von den drei Richter-Brüdern so maßlos enttäuscht war, tauchten sie in meinen Träumen nicht auf. Zum ersten Mal seit Langem schlief ich richtig gut.

Am nächsten Morgen stand ich früh auf und begann, meine Sachen zu packen.

Mein Ankleidezimmer war voller Kleider, die Jan extra für mich entworfen hatte. Er sagte immer, ich sei die kleine Prinzessin des Hauses und solle jeden Tag etwas anderes Schönes tragen.

Von Niklas hatte ich Stapel von Tickets bekommen – für Konzerte und Flüge in alle Welt. Er wollte, dass ich die ganze Welt sehe.

Christian wiederum hatte sich persönlich um alle meine Alltagsdinge gekümmert, hatte mir alles abgenommen. Er wollte, dass ich mein Leben lang auf sie angewiesen blieb.

Doch jetzt würde ich all diese Dinge eigenhändig in den Mülleimer unten werfen. Zusammen mit allem Guten und Schlechten, das sie mir gegeben hatten.

Gerade als ich die letzten Kleidungsstücke in den Müll stopfte, hörte ich einen erschrockenen Aufschrei. Jan fragte mit zitternder Stimme: „Lena, warum wirfst du die Kleider weg, die ich für dich entworfen habe?“

Ich drehte mich um und sah alle drei Brüder hinter mir stehen. Ihre Augen waren gerötet, voller Bestürzung.

Niklas rannte zum Mülleimer und wühlte darin herum, ohne sich am Gestank zu stören. Natürlich fand er auch die Sachen, die er und Christian mir geschenkt hatten.

Mit zusammengebissenen Zähnen und feuchten Augen stellten sie mich zur Rede: „Lena, das waren doch deine Schätze! Warum wirfst du sie weg?“

Einen Moment lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Mein Blick schweifte umher und blieb an den Kleidern in Jans Händen hängen. Dann sagte ich leise: „Ich dachte, Jan könnte mir mal wieder neue Kleider schenken. Und Niklas und Christian sollten auch mal alles erneuern. Die alten Sachen nehmen so viel Platz weg, also habe ich sie aussortiert.“

Dann ging ich mit großen Schritten auf Niklas zu und deutete auf die Kleider in seiner Hand. „Niklas, sind die neuen Sachen für mich?“

Niklas wurde noch nervöser und versteckte die Kleider hinter seinem Rücken.

Ich senkte gespielt enttäuscht den Blick. „Ach so. Sie sind nicht für mich.“

Als die drei Brüder mich so sahen, huschte ein Anflug von Mitleid über ihre Gesichter. Die Frage nach den weggeworfenen Sachen war vergessen.

Niklas seufzte leise. „Lena, Vanessa hat hier nichts zum Anziehen. Deshalb hat Jan ihr Kleider entworfen. Sei nicht schon wieder eifersüchtig auf sie.“
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