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Kapitel 5

Weißer Sand
Mit zusammengebissenen Zähnen heftete ich meinen Blick auf die Medikamente in ihrer Hand.

„Vanessa, gib mir sofort die Tabletten zurück!“

Vanessa schien meine Qual zu genießen. Sie schraubte die Flasche auf, schüttete zwei Tabletten heraus, ging zwei Schritte zurück und schnalzte mit der Zunge, als würde sie einen Hund rufen. „Lena, kriech zu mir und bitte mich darum. Dann gebe ich sie dir.“

Niemand konnte bei so einer Provokation ruhig bleiben – schon gar nicht, wenn der Schmerz einem fast den Verstand raubte.

Die Wut schoss in mir hoch. Mit einem Schrei stürzte ich mich auf sie, um die Medikamente zu greifen.

Doch ob absichtlich oder nicht – während Vanessa zurückwich, warf sie meine Tabletten in den kleinen Springbrunnen in der Eingangshalle.

Sie setzte eine bedauernde Miene auf, doch in ihren Augen blitzte der Triumph nur umso stärker.

Als ich die Hand hob, wurde ich von einer gewaltigen Kraft zurückgestoßen. Im nächsten Moment klatschte mir eine schallende Ohrfeige ins Gesicht.

Mein Kopf war einen Moment lang völlig leer.

Jan stand vor mir, das Gesicht vor Wut verzerrt. „Lena, du bist wirklich wahnsinnig geworden! Du wagst es tatsächlich, Vanessa zu schikanieren, sobald wir nicht da sind!“

Niklas und Christian stürzten zu Vanessa und untersuchten sie hastig. Als sie die Schnittwunde an ihrer Hand sahen, weiteten sich ihre Augen vor Schreck. „Jan! Vergiss sie! Komm schnell her und sieh dir Vanessas Hand an – sie blutet!“

Jan wurde sofort bleich und eilte zu ihr.

Niklas funkelte mich finster an und drohte: „Lena, Vanessa will Ärztin werden! Wenn ihrer Hand etwas passiert, brauchst du hier nicht mehr zu wohnen! Und jetzt verschwinde auf dein Zimmer und denk über dein Verhalten nach!“

Mein Kopf hämmerte, und ich wurde auch noch zu Unrecht beschuldigt. Ich konnte nicht anders, als mich zu verteidigen. „Sie hat meine Medikamente absichtlich ins Wasser geworfen! Weißt du eigentlich, dass ich ohne diese Tabletten sterben könnte?“

Christian verzog spöttisch den Mund. „Lena, nur um unsere Aufmerksamkeit zu erhaschen, würdest du sogar so weit gehen, dich selbst zu verfluchen? Soll ich das etwa loben?“

Jan schnaubte verächtlich. „Du enttäuschst uns wirklich zutiefst.“

Damit zogen sie mit Vanessa ab, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Ich krümmte mich vor Schmerzen auf dem Boden zusammen. Endlich brachen die Tränen aus mir heraus.

Die Spezialmedikamente hemmten das Tumorwachstum, aber sie waren schwer zu bekommen.

Wenn ich sie noch einmal beantragen müsste, wäre ich vielleicht schon tot, bevor sie ankämen.

Den unerträglichen Schmerz unterdrückend, tastete ich nach meinem Handy und rief schluchzend meine Tante an. „Tante, ich muss umbuchen. Ich fliege morgen. Bitte organisier sofort die Operation für mich.“

Schwankend schleppte ich mich zurück in mein Zimmer, warf eine Handvoll Schmerztabletten ein und machte mich mit meinem Koffer auf den Weg zum Flughafen.

Unterwegs schickten mir die drei Brüder Nachrichten. Ich solle mich bei Vanessa entschuldigen.

Trotz der Schmerzen blockierte ich sie einen nach dem anderen.

Die über zehn Stunden Flug überstand ich nur dank der Schmerzmittel.

Bei der Landung fragte meine Tante nicht viel. Sie brachte mich so schnell wie möglich ins Krankenhaus.

Kurz bevor ich in den OP geschoben wurde, klingelte mein Handy unaufhörlich.

Meine Tante, mit Tränen in den Augen und voller Zorn, lehnte jeden einzelnen Anruf ab.

Schwach griff ich nach ihrer Hand und zwang mich zu einem Lächeln. „Tante, reg dich nicht so auf.“

„In dem Moment, als ich beschlossen habe, ins Ausland zu gehen und mich operieren zu lassen, habe ich auch beschlossen: Ich brauche sie nicht mehr.“
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