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Kapitel 3

Author: Melissa Z
Das Abendessen war vorbei.

„Chiara, du kommst ebenfalls mit“, ertönte Vincenzos Stimme von oben an der Treppe.

Ich sah hinauf. Er half Katerina in ihren Mantel – seine Bewegungen waren so sanft, wie sie es bei mir nie gewesen waren. Es fühlte sich an, als würde ich Säure schlucken.

„Natürlich“, sagte er und sah mich an, seine Augen so kalt wie Eis. „Du bist meine beste Informationsspezialistin. Zeit, deinen neuen Boss kennenzulernen.“

Der gepanzerte Wagen wartete draußen.

Instinktiv bewegte ich mich auf den Beifahrersitz zu. Ein einziger Blick von Vincenzo hielt mich auf.

„Hinten“, sagte er.

Katerina nahm seinen Arm und glitt in die geräumige mittlere Sitzreihe.

Ich wurde in die Ecke der hintersten Reihe gedrückt. Ein nachträglicher Gedanke.

Der Wagen setzte sich in die Chicagoer Nacht in Bewegung.

Die erste Kugel ließ ohne Vorwarnung die Windschutzscheibe zersplittern.

„Runter!“, brüllte Marco und riss das Lenkrad herum.

Schüsse prasselten von allen Seiten, die Kugeln hämmerten wie Hagel auf den Wagen ein.

„Scheiße!“ Vincenzo zog seine Waffe. „Das ist die Torrino-Familie!“

Ich zog meine Glock und feuerte durch die Heckscheibe zurück. Katerina schrie, kauerte sich in Vincenzos Arme und verkrampfte sich an ihm. Er erwiderte das Feuer, während er sie mit seinem eigenen Körper abschirmte.

„Es ist gut, Baby, ich bin bei dir.“

Die Hinterreifen platzten. Der Wagen geriet außer Kontrolle und schleuderte auf eine Wand zu.

Dann sah ich ihn. Einen Schützen im Seitentunnel, der eine RPG auf die Schulter hob.

„Rakete!“, schrie ich.

Die Zeit verlangsamte sich.

Die Rakete zischte auf uns zu, einen Schweif aus Feuer hinter sich herziehend.

In diesem Wimpernschlag traf Vincenzo seine Entscheidung.

Er packte Katerina, zog sie unter sich und nutzte seinen Rücken als Schutzschild.

Dann hob er seinen Fuß.

Und mit all seiner Kraft trat er zu. Nicht auf den Feind.

Auf mich.

Sein Stiefel krachte gegen die Tür neben mir, und die Wucht schleuderte mich aus dem Wagen. Ich schlug hart auf dem Asphalt auf und rollte über den Boden, die Welt ein Strudel aus Schmerz und Beton.

„Nein–“

BOOM.

Eine Feuerkugel verschlang alles hinter mir.

Die Druckwelle schleuderte mich gegen die Tunnelwand.

Glassplitter und Metallscherben regneten herab und ritzten meine Haut.

Ich spürte den stechenden Schmerz gebrochener Rippen. Warmes Blut lief über meine Stirn, verschleierte mein Sehfeld.

Mein letzter klarer Gedanke, bevor die Dunkelheit mich verschluckte: Ich sah ihn aus dem Wrack kriechen, Katerina fest und sicher in seinen Armen.

Sein Anzug war zerrissen, aber seine Augen waren wachsam.

Er strich ihr sanft über das Haar, murmelte beruhigende Worte, dann rannte er mit ihr in Sicherheit.

Er warf nicht einmal einen Blick zurück. Kein einziges Mal.

Ich lag auf dem kalten Boden und hörte das Knistern des Feuers, das Metall fraß.

Dann wurde alles schwarz.

Als ich meine Augen öffnete, lag ich im geheimen medizinischen Trakt der Familie.

„Du bist wach“, sagte der alte Dr. Castellano und leuchtete in meine Pupillen. „Du hattest Glück. Marco hat dich aus der Explosion gezogen, Sekunden bevor alles hochging.“

„Vincenzo?“ Meine Stimme war ein Krächzen.

„Der Boss ist bei Fräulein Katerina“, sagte der Arzt und hielt inne. „Sie war schwer erschüttert.“

Ich stieß ein lautloses, bitteres Lachen aus. Erschüttert.

„Doktor, schalten Sie den Monitor ein.“

Der Bildschirm an der Wand flackerte auf und zeigte die Überwachungskameras des gesamten Anwesens. Ich wechselte zu Katerinas Zimmer.

Sie trug ein weißes Seidennachthemd, schwach gegen die Kissen gelehnt.

Vincenzo saß auf der Bettkante und fütterte sie mit Suppe, Löffel für Löffel. Seine Bewegungen waren so sanft, als würde er einen unschätzbaren Schatz berühren.

„Ich hätte dich beinahe verloren“, sagte er mit bebender Stimme. „Ich kann ohne dich nicht leben, Katerina.“

„Ich weiß. Du hast mich gerettet“, flüsterte sie und berührte sein Gesicht. „Du bist mein Held.“

Dann zog Vincenzo eine kleine Samtschachtel aus seiner Tasche.

Mein Herz setzte aus.

Er ging auf ein Knie. Er öffnete die Schachtel. Darin lag ein riesiger Diamantring.

Ich erkannte ihn sofort. Der Ring, der immer an die Matriarchin der Russo-Familie weitergegeben wurde.

„Heirate mich“, sagte er und sah zu ihr auf, seine Augen voller Hingabe. „Nicht für die Familie. Nicht für das Bündnis. Sondern weil … ich dich liebe.“

Katerina brach in Freudentränen aus. „Ja! Natürlich will ich!“

Er schob ihr den Ring an den Finger und küsste ihre Hand.

Ich starrte auf den Bildschirm, bis das Bild in Rauschen überging.

Er konnte die Worte also sagen.

Er hatte sie nur nie zu mir gesagt.
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