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Kapitel 5

Author: Lilia
Als das Auto mich traf, begann mein Bewusstsein zu schwinden.

Schmerz schoss durch meinen ganzen Körper, aber was mehr schmerzte, war die absolute, vernichtende Verzweiflung, verlassen zu werden.

Erinnerungsfetzen überfluteten meinen Geist.

Das erste Mal, als ich Vincent sah, wie er hinter seinem Schreibtisch saß, das kalte Licht auf seiner Brille glitzerte. Ich, wie ich ihn absichtlich provozierte, und er, völlig ungerührt.

Das erste Mal, als er mich unter sich gefangen hielt und mich Principessa nannte, seine Stimme tief und rau. Ich hatte gedacht, es wäre Liebe.

Unzählige Nächte, in seinen Armen liegend, dem gleichmäßigen Schlag seines Herzens lauschend, denkend, ich hätte endlich mein Zuhause gefunden.

Das letzte Bild war in meinem Geist eingefroren: Vincent, der ohne einen Moment des Zögerns hinsprang, um Isabella zu beschützen.

Und ich, wie irgendeine entbehrliche Zuschauerin, allein gelassen, um der Gefahr zu begegnen.

Als ich meine Augen wieder öffnete, war ich in einem Krankenhausbett.

Das Zimmer war still, aber ich konnte Vincent am Telefon hören, direkt außerhalb meines Vorhangs.

„Isabella, tut es noch weh?“ Seine Stimme war so sanft, dass sie mir fremd vorkam.

„Viel besser, danke, Vincent“, Isabellas Stimme war schwach. „Wenn du mich nicht rechtzeitig gepackt hättest, wäre ich vielleicht...“

„Denk nicht daran“, beruhigte Vincent sie. „Der Arzt sagte, du warst nur erschüttert, keine äußeren Verletzungen.“

„Vincent, wenn es wieder passieren würde, würdest du mich immer noch zuerst retten, oder?“

Vincent zögerte nicht. „Natürlich.“

„Aber Sophia wurde getroffen...“

„Sie hat keinen Grund, wütend zu sein“, Vincents Stimme war ruhig, logisch. „In einem Notfall rette ich natürlich die zerbrechlichere Person. Das muss sie doch verstehen.“

Ich schloss meine Augen und fühlte, als hätte jemand gerade ein Messer in mein Herz gestoßen.

Also hatte ich in Vincents Augen nicht einmal das Recht, wütend zu sein.

Schritte näherten sich, und der Vorhang um mein Bett wurde zurückgezogen.

Vincent stand da. Als er sah, dass ich wach war, zeigte sein Gesicht nicht eine Spur von Schuld. „Du bist wach?“

„Ja“, meine Stimme war heiser.

„Der Arzt sagte, du hast eine leichte Gehirnerschütterung und ein paar Schürfwunden am Bein. Nichts Ernstes“, sagte Vincent. „Ich habe das beste medizinische Team arrangiert. Ich bleibe die nächsten Tage hier, um mich um dich zu kümmern.“

„Danke“, sagte ich und starrte an die Decke. „Ich zahle dir die Arztkosten in zehn Tagen zurück.“

Vincent runzelte die Stirn. „Wovon redest du? Was ist in zehn Tagen?“

„Ich sagte, ich zahle es dir zurück“, ich drehte mich zu ihm um, mein Blick ausdruckslos. „Und für die Kosten meines Aufenthalts bei dir. Ich begleiche alles auf einmal.“

Vincents Gesichtsausdruck war angespannt. „Sophia, du musst bei mir keine Rechnung führen.“

„Warum nicht?“ Meine Stimme war ohne Emotion. „Wir waren uns doch nie etwas, oder?“

Der Raum wurde für ein paar lange Sekunden still.

Vincent schien etwas sagen zu wollen, aber am Ende sagte er nur: „Ruh dich aus.“

Die nächsten Tage blieb Vincent tatsächlich im Krankenhaus, um sich um mich zu kümmern.

Er schaute regelmäßig nach mir, stellte sicher, dass die Krankenschwestern mir pünktlich meine Medikamente gaben, und testete sogar die Temperatur meines Essens, bevor er mich essen ließ.

Aber ich blieb kalt und distanziert.

Ich weinte nicht, warf keine Wutanfälle, forderte nicht seine Aufmerksamkeit. Ich behandelte ihn wie einen freundlichen Fremden, höflich, aber völlig abgekoppelt.

Diese neue Version von mir schien Vincent unbehaglich zu machen.

Am dritten Nachmittag saß Vincent auf dem Stuhl neben meinem Bett und beobachtete mich, wie ich lustlos durch eine Zeitschrift blätterte.

„Sophia“, begann er.

„Hmm?“ Ich sah nicht auf.

„Über jene Nacht...“ Vincent pausierte. „Ich habe Isabella zuerst gerettet, aber nicht, weil ich dich nicht retten wollte.“

Er fuhr fort: „Isabellas Körper ist schwach. Sie hätte den Aufprall nicht überlebt. Es war die einzig logische Wahl...“

Ich legte die Zeitschrift weg und unterbrach ihn. „Ich weiß.“

Vincent sah mich an, eine seltsame, unlesbare Emotion in seinen Augen. „Du bist wirklich nicht wütend?“

„Willst du, dass ich es bin?“

Genau dann brach ein Tumult im Flur aus.

„Schnell! Bringt sie in die Notaufnahme!“

„Was ist passiert?“

„Isabella ist die Treppe hinuntergefallen! Sie ist schwer verletzt!“

Die Farbe wich aus Vincents Gesicht.

Er sprang auf. „Ich muss etwas erledigen“, sagte er schnell.

Er ging zur Tür, dann warf er einen Blick zurück zu mir. „Ich komme später noch mal nach dir sehen.“

Ich hörte seine eiligen Schritte den Flur hinunter verklingen und schloss meine Augen, eine Welle tiefer Erschöpfung überkam mich.

Isabella hatte es wieder einmal geschafft, Vincent von mir wegzunehmen.

Und ich hatte nicht mehr die Kraft, um ihn zu kämpfen.

In einer Woche wäre er sowieso frei, mit ihr zusammen zu sein.
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