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Kapitel 07

Author: Yara
Mein Kopf war wie leergefegt. „Was meinst du?“

„Der Ältestenrat hat es überprüft. Der Sockel der Totemsäule war zur Hälfte angesägt.“

Kellans Blick wurde scharf. „Wenn nicht du – wer sonst sollte so berechnend versucht haben, Josepha zu verletzen?“

Mir wurde eiskalt. „Ich sage es noch einmal: Ich war es nicht! Diesmal nicht, das letzte Mal nicht, und auch nicht das Mal davor! Glaubst du mir?! Kellan, schwöre bei deiner Wolfsseele – spürst du in meinem Geist, dass ich lüge?!“

Die letzten Worte brach ich beinahe schreiend hervor.

„Du leugnest immer noch!“ Kellans Augen wurden hart.

„Jedes Mal willst du, dass ich dir glaube, und was tust du? Du bringst Josepha immer wieder in Gefahr, verletzt den Welpen. Ich habe dir schon hundertmal gesagt: Ich bin nur gut zu ihr wegen des Erben! Warum musst du immer wieder Streit suchen? Was bringt es uns, wenn du ihre Schwangerschaft gefährdest und sie eine Fehlgeburt erleidet?!“

Meine Brust hob und senkte sich heftig; Bitterkeit und Wut stauten sich in meiner Kehle.

Ich wollte ihn anschreien, wollte ihm beweisen, dass ich nie jemandem etwas angetan hatte.

Ich wollte ihn fragen, ob er vergessen hatte, dass er mir einst versprochen hatte, mir immer bedingungslos zu glauben, ob er vergessen hatte, dass er geschworen hatte, mich nie zu misstrauen.

Doch am Ende sah ich ihn nur erschöpft an und sagte zitternd, Wort für Wort:

„Gut. Wenn du mir nicht glaubst, dann ist es vorbei.“

„Du kannst das Band zwischen uns jederzeit lösen. Ich lasse euch frei – ihr vier könnt glücklich werden.“

Kellan erstarrte, seine goldenen Pupillen verengten sich.

„Was hast du gesagt?!“ Ein unterdrücktes Knurren brach aus seiner Kehle.

„War das nicht deutlich genug?“ Meine Augen brannten, doch ich hielt seinem Blick stand.

„Ich löse das Band zwischen uns. Ich gebe dich und Josepha frei.“

Knall!

Kellan schlug mit der Faust auf den Tisch, das Holz zerbarst, Splitter flogen.

Er packte mein Handgelenk, in seinen Augen kochte die Wut.

„Aelis! Was redest du da?! Ich liebe nur dich! Und du willst mich einfach einer anderen überlassen?!“

Ich starrte ihn an, die Augen voller Tränen, schwieg aber.

Lange standen wir uns so gegenüber.

Dann atmete Kellan tief durch, zwang sich zur Ruhe und zog mich in seine Arme, so fest, als wollte er mich für immer in sich verschlingen.

„Das Thema ist erledigt“, sagte er heiser. „Josepha hat dir schon... verziehen, und ich will auch nichts mehr davon hören.“

Er hielt mich noch enger. „Aber merk dir das“, flüsterte er rau. „Du wirst nie wieder von Auflösung oder Trennung reden! Nie! Alles, was ich tue, tue ich für unsere Zukunft!“

Ich sagte ihm nicht, dass mir seine Zukunft egal war, denn ich hatte längst beschlossen zu gehen.

„Sie verzeiht mir so einfach?“, fragte ich tonlos. „Ohne Bedingungen?“

Kellans Körper spannte sich an. Nach einem Moment des Schweigens ließ er mich los.

„Sie... möchte ein Ritual abhalten. Einen Mondlichtschwur.“

„Josepha sagt, sie will, dass ihr Junges weiß, dass seine Eltern sich einmal geliebt haben, dass sie vom Mond gesegnet wurden, sie will ihm eine legitime Herkunft geben.“

Er zögerte, sah mich an.

„Aber dieser Schwur ist nur Schein, reine Formalität. Nur, um dem Rudel und dem Welpen etwas vorzutäuschen. Mach dir keine Gedanken.“

Meine Lippen bebten, doch kein Laut kam heraus.

Es war, als würde eine kalte Hand mein Herz packen – jede Regung schmerzte, riss, blutete.

Kellan...

Du hast mit ihr ein Kind – und nun willst du auch noch den heiligen Schwur des Rudels mit ihr ablegen.

Was daran ist noch falsch?

Was bin ich überhaupt noch?

Kellan redete weiter, seine Stimme schwankte zwischen Rechtfertigung und Bitte.

Er erklärte, warum das Ritual nötig sei, versprach, dass wir danach fortgehen würden.

Ich sah seine Lippen sich bewegen – und fühlte nur Erschöpfung.

Langsam schloss ich die Augen.

Seine Worte lösten sich in Staub auf, fielen auf mein längst totes Herz.

Ich sagte kein Wort mehr.

......

Kellan hatte drei ganze Tage lang im Krankenhaus über mich gewacht.

In diesen drei Tagen kümmerte er sich um mich mit einer Zärtlichkeit, die fast schmerzte.

Wenn er mir die Medizin reichte, kühlte er sie stets behutsach durch leichtes Pusten ab, bevor er sie mir an die Lippen führte.

Sobald ich mich nachts im Schlaf bewegte, schreckte er auf, griff panisch nach meiner Hand und schloss die Augen erst wieder, wenn er sicher war, dass es mir gutging.

Als der Heiler mir das Antibiotikum spritzte, nahm Kellan mich fest in die Arme, legte mir sanft die Hand über die Augen und flüsterte: „Schau nicht hin, es ist gleich vorbei.“

Doch kaum hatte er mich aus dem Krankenhaus entlassen, begann er sofort, das Gelübde vorzubereiten.

Damit ich keinen Aufruhr verursachte, nahm er mir sogar das Handy ab und ließ Wächter vor der Tür postieren – rund um die Uhr.

Das riesige Haus war leer; nur eine Haushälterin blieb, um mich zu beaufsichtigen.

Ich leistete keinen Widerstand. Still und heimlich begann ich, meine Sachen zu packen.

Am Tag des Schwurs bekam ich mein Handy zurück.

Darin lagen unzählige Fotos, alle von Josepha geschickt, Kellan im Anzug, wie er ihr zärtlich den Ring ansteckte; die beiden, wie sie sich inmitten der Glückwünsche der Menge küssten;

sie vier, vereint und lächelnd, während sie die Torte anschnitten.

Jedes Bild war wie ein Messer, das mein ohnehin verwundetes Herz Stück für Stück zerschnitt.

Gerade als ich das Handy ausschalten wollte, öffnete sich die Tür.

Der alte Alpha stand im Rahmen.

„Alles ist vorbereitet.“

Er reichte mir ein Flugticket.

„Ich verspreche dir, wenn du gehst, wird er dich niemals finden.“

Schweigend nahm ich das Ticket entgegen, griff nach dem bereits gepackten Koffer.

Als ich das Haus verließ, stand die Sonne hoch am Himmel.

Ich drehte mich nicht um.

Schritt für Schritt ging ich auf das Auto zu, das am Straßenrand wartete.

Ich verabschiedete mich nicht von Kellan.

Denn für den Rest unserer Leben, auf immer und ewig, würden wir uns nie mehr begegnen.

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