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Kapitel 4

Author: Lola
Mein Geist folgte Ella zur Klinik des Heilers.

Es dauerte nicht lange, da stürmte mein Gefährte Ryan herein.

Er eilte sofort zu Ellas Seite, packte ihre Hand und untersuchte besorgt den roten Abdruck auf ihrer Handfläche. Seine Augen waren wild von Qual.

„Wie ist das passiert? Was hat der Heiler gesagt?“

„Ryan, sei nicht so“, sagte Ella mit vor Tränen erstickter Stimme, brachte aber ein schwaches Lächeln zustande. „Es ist nicht Sophies Schuld. Sie wollte mich wohl nur überraschen und hat kurz vergessen, dass wir Werwölfe kein Silber vertragen…“

Je mehr sie „verständnisvoll“ tat, desto dunkler wurde Ryans Gesicht.

Er blickte auf, seine Stimme brodelte vor Wut. „Sophie? Wo versteckt sie sich diesmal? Ella, sei nicht traurig. Das werde ich ihr heimzahlen!“

Da wir unsere Gefährtenbindung noch nicht vollzogen hatten, konnte er meinen Tod nicht spüren, geschweige denn wissen, dass ich direkt neben ihm schwebte und ihm in Stille zusah.

Nachdem sie die Klinik verlassen hatten, rief Ryan mein Handy an. Als es unbeantwortet blieb, hinterließ er eine Nachricht.

„Sophie, wie kannst du nur so bösartig sein? Deine eigene Schwester mit Silber zu verletzen? Ich habe dich immer für gut gehalten, aber dass du so etwas aus Eifersucht tust!“

Ryans Stimme war voller Wut.

„Ich war auf dem Weg, um dir dein Auszeichnungsgeschenk zu bringen. Ein Familienerbstück, ein Anhänger, um dich zu beglückwünschen. Aber jetzt hast du ihn nicht verdient. Sieh das als deine Strafe an.“

„Du betest besser, dass Ella wieder ganz in Ordnung kommt! Ansonsten betrachte unsere Gefährtenbindung als gelöst!“

Ich hörte seinen Vorwürfen zu, doch mein Herz war zu müde, um überhaupt noch etwas zu fühlen.

Ich hätte es schon lange wissen sollen.

Wir hatten schon viele Male wegen Ella gestritten. Während einer Jagdausbildung hatte er sich vollkommen auf Ellas agile Form konzentriert; als ich über eine Wurzel stolperte, nannte er mich unbeholfen. Als wir zusammen aßen, vergaß er immer, dass ich scharfes Essen nicht vertragen konnte, während er persönlich mehr als zwanzig verschiedene Desserts buk, um Ella glücklich zu machen.

Ich stritt unzählige Male mit ihm über diese Dinge, nur um immer wieder zu hören: „Du überdenkst das zu sehr. Ich betrachte Ella nur als kleine Schwester.“

Seine Kälte ließ mich wie eine besitzergreifende Verrückte erscheinen.

Aber ich liebte ihn so sehr. Ich dachte, seine Anwesenheit sei ein Geschenk der Mondgöttin, dass er mein war und nur mein.

Ich lag falsch. Völlig falsch.

Meine Eltern liebten Conner und Ella wegen ihrer Blutlinien. Warum liebte Ryan sie? Ich wusste es nicht.

Und jetzt würde ich nie die Chance haben, es herauszufinden.

Denn jetzt, egal ob ich fiel oder geschlagen wurde, würde ich niemals wieder Schmerz fühlen.

Nach Mitternacht kamen Papa, Mama und Conner endlich nach Hause, erschöpft.

Ich schwebte in einer Ecke des Wohnzimmers und hörte, wie meine Mutter seufzte.

„Schade, dass Ryans Blutlinie nicht stark genug für unsere Ella ist. Die beiden wären doch perfekt zusammengepasst.“

„Hast du gesehen, wie fürsorglich er in der Klinik war?“

Mein Geist erstarrte.

Dann hörte ich Papa sagen: „Ja, Ryan ist tatsächlich sehr tüchtig, und ich glaube, Ella mag ihn auch. Wären sie Gefährten, wäre das perfekt. Aber darüber entscheidet nun mal die Mondgöttin.“

„Mach dir nicht so viele Gedanken“, sagte Mama. „Ryans Blutlinie ist unseres kostbaren weißen Wolfes nicht würdig. Es ist besser, er bleibt bei Sophie. Deren Grauwolf-Blutlinien passen einfach besser zueinander.“

„Selbst wenn er die Gefährtenbindung mit Sophie eingeht, kann er Ella trotzdem verwöhnen“, fügte sie nebensächlich hinzu. Dann blickte sie auf und bemerkte, dass das Haus dunkel war.

Ein schwacher, metallischer Geruch hing in der Luft.

„Sieht so aus, als wären die Mondsteine im Haus erloschen“, sagte Papa genervt. „Conner, geh runter in den Keller und hol einen neuen.“

Conner brummte zustimmend und ging zum Keller.

Je näher er kam, desto stärker wurde der metallische Geruch. Seine Wolfsinstinkte ließen ihn die Stirn runzeln, doch er schob es als einen toten Rattengeruch im Haus ab.

„Was ist das denn für ein Geruch?“ Papa und Mama folgten ihm zur Kellertür.

Conner öffnete sie.

Ein dicker, übelriechender Gestank von Blut und Verfall strömte ihnen entgegen.

In der Dunkelheit lag eine Leiche in einer Lache aus getrocknetem, geschwärztem Blut, deren Augen nicht ganz geschlossen waren.

Conner blieb wie erstarrt stehen.

„Sophie…?“
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