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Kapitel 4

Author: Zora Miau
Elin sah nicht auf.

Sie wusste nicht, wie finster Adrians Blick geworden war – sie spürte nur, wie sehr er auf ihr lastete. Jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich an. Sie wollte nur noch weg.

Nachdem sie gesprochen hatte, drehte sie sich um und verließ hastig die Kaffeeküche.

Adrian sah ihr nach.

Ihr Rücken wirkte leicht, beinahe erleichtert. Seine Finger schlossen sich fester um den Kaffeebecher.

Früher hatte Elin keinen Iced Americano angerührt. Zu bitter, zu sauer, hatte sie gesagt.

Und jetzt trank sie ihn.

Adrians Blick blieb an der Stelle hängen, an der sie verschwunden war.

Seine Augen waren gerötet, die Emotionen darin unruhig, widersprüchlich. Er atmete tief durch, zwang sich zur Ruhe – doch am Ende blieb ihm nur ein leiser Fluch, der zwischen Zähnen und Lippen hängen blieb.

Zurück in seinem Büro griff Adrian zum Handy und rief Sven an.

„Adrian? Was gibt’s?“

„Mit wem hat Elin geheiratet?“

„Was?“ Sven war hörbar überrascht. Er verstand nicht, warum diese Frage jetzt kam, antwortete aber ehrlich: „Ich weiß es nicht.“

„Sie hat im Ausland geheiratet“, sagte er weiter. „Man hat gesagt, sie habe erfahren, dass sie schwanger ist, und dann einfach geheiratet. Ihren Mann habe ich nie gesehen.“

„Wann?“

Stille.

Dann zögerte Sven und sagte schließlich leise: „Kurz nach eurer Trennung. Es hieß, Elin sei damals mit ihrem Mann zusammen ins Ausland gegangen …“

Danach verstummte er.

Trennung, Blitzhochzeit, Schwangerschaft – alles in kürzester Zeit.

Selbst wenn Adrian Elin damals nicht geliebt hatte, ließ ihn der Gedanke nicht los, ob er nicht doch betrogen worden war.

Sven wollte noch etwas hinzufügen, doch Adrian beendete das Gespräch ohne Vorwarnung.

Als das Abbruchsignal erklang, fühlte Sven sich paradoxerweise erleichtert.

Wenn Adrian weiter gefragt hätte, wäre er wirklich in Erklärungsnot geraten.

Nach einigem Zögern schrieb Sven Elin eine Nachricht.

„Adrian hat mich nach deinem Mann gefragt.“

Die Antwort kam sofort.

„Tut mir leid, mein Mann ist vermutlich kein Heiratsschwindler.“

Sven: …

War das jetzt wirklich der Punkt?

Eigentlich hatte er fragen wollen, warum diese beiden sich plötzlich wieder begegnet waren.

Doch nach kurzem Überlegen entschied Sven, sich lieber nicht einzumischen.

Bis zum Feierabend verlief alles erstaunlich ruhig.

Adrian las seine Mails, und der Tag ging unspektakulär zu Ende.

Elin dachte noch an die Nacht zuvor und spürte ein unangenehmes Nachzittern.

Also ging sie heute ganz bewusst pünktlich nach Hause.

Als sie den Computer ausschaltete, sah Alina sie verblüfft an.

„Du arbeitest heute nicht länger?“

„Nein. Ich will nach Hause zu meiner Tochter.“

Die beiden lachten und unterhielten sich, als sie in den Aufzug stiegen.

Doch ausgerechnet dort – nach einem ganzen Tag ohne Begegnung – trafen sie Adrian.

Alina und Elin stellten sich steif an die Seite, die Anspannung deutlich spürbar.

Zum Glück beachtete Adrian sie gar nicht.

Er hatte einen Bluetooth-Kopfhörer im Ohr und telefonierte.

„Ich weiß. Heute Abend bin ich auf jeden Fall zu Hause und esse mit dir.“

„Ja. Keine Sorge – ich bringe dir Blumen mit.“

Seine Stimme war weich, geduldig, fast zärtlich – wie sanfte Wellen.

Man hörte sofort, wie wichtig ihm die Person am anderen Ende war.

Vor drei Jahren hatte Elin diesen Ton nur in einem einzigen Moment von ihm gekannt.

Wahrscheinlich war es dieselbe Frau, die die Spuren an seinem Hals hinterlassen hatte.

Die Sekunden im Aufzug vergingen schnell.

Adrian stieg als Erster aus.

Alina atmete hörbar auf und klopfte sich auf die Brust.

Mit offenem Neid sagte sie: „Das war bestimmt seine Freundin, oder? So sanft … selbst die härtesten Männer werden weich, wenn sie wirklich jemanden lieben.“

Elin stockte kurz und sagte dann automatisch: „Vermutlich.“

Sie lehnte Alinas Angebot ab, sie mitzunehmen, und drängte sich stattdessen in die U-Bahn.

Menschen kamen und gingen.

Elin dachte an Svens Nachricht.

Vermutlich hatte Mark bei der Vorstellung der Mitarbeitenden beiläufig ihre familiäre Lage erwähnt.

Es hatte einmal einen Vorgesetzten gegeben, der Elin wegen ihres Aussehens und ihrer distanzierten Ausstrahlung für wohlhabend gehalten hatte – für jemanden, der Geld nicht nötig hatte.

Beförderungen und Gehaltserhöhungen hatte er ihr deshalb nie in Betracht gezogen.

Damals war es Mark gewesen, der ein Wort für sie eingelegt hatte.

Dafür war Elin ihm bis heute dankbar.

Dass Adrian sich nach ihrem Mann erkundigt hatte, überraschte Elin.

Denn einen Ehemann gab es nicht.

Damals, als sie ihren Vater zur Behandlung ins Ausland begleitete, hatte sie auf dem Flug eine andere Familie kennengelernt – ebenfalls Angehörige eines Schwerkranken.

Der letzte Wunsch beider Väter war derselbe gewesen: ihre Kinder verheiratet zu sehen.

So hatten Elin und der Sohn des anderen Patienten am Krankenbett versprochen, zusammenzubleiben.

Nicht lange danach starben beide Väter.

Und Elin und der andere verloren sich aus den Augen.

Der „Familienstand“ war später nur eine beiläufige Bemerkung.

Nach außen war Elin von da an eine verheiratete Frau.

In jener Zeit brachte sie Marlene zur Welt.

Diese Welt war grausam in ihren Urteilen.

Eine Frau mit einem unzuverlässigen Ehemann – sie bekam Mitgefühl.

Eine unverheiratete Mutter ohne Vater für ihr Kind – sie wurde verurteilt.

Elin war es egal, was man über sie sagte.

Aber sie würde niemals zulassen, dass ihre Tochter mit denselben Blicken betrachtet wurde.

Ob man ihn jemals brauchen würde oder nicht – ein Kind brauchte einen Vater. Wenigstens auf dem Papier.

Egal unter welchen Umständen – Adrian durfte niemals erfahren, dass Marlene existierte.

„Eine Familie wie die Kaisers … würden sie mir das Kind wegnehmen? Oder würden sie mich und meine Tochter demütigen, das Mädchen vernachlässigen, es wie eine Last behandeln?“, dachte Elin.

Alles war denkbar.

Selbst wenn man sie in diese Familie holen würde, hätte sie dort keinen Wert.

Elin hatte zu viele Geschichten aus den Kreisen der Reichen gesehen – zu viele Kämpfe um Kinder, zu viele Narben, die zurückblieben.

Was auch immer Adrian wollte, spielte keine Rolle.

Sie hatte nur eines zu schützen.

Ihre Tochter.

Im Haus der Familie Kaiser.

Adrian trat mit einem Strauß praller Rosen an den Esstisch und reichte ihn seiner Mutter Ursula.

„Die Blumen“, sagte er knapp. „So, wie du sie wolltest.“

Ursula nahm sie erfreut entgegen und begann sofort zu nörgeln: „Was heißt denn so, wie ich sie wollte? Seit du zurück bist, lässt du dich kaum noch blicken. Hast du deine Mutter etwa schon vergessen?“

„Ich wasche mir kurz die Hände.“

Ohne eine weitere Erklärung ging Adrian ins Bad.

„Dieser Junge!“, schimpfte Ursula leise.

Im nächsten Moment setzte sie wieder ein Lächeln auf und reichte den Strauß an Riana Brandt weiter.

„Hier, nimm sie. Adrian hat sie gekauft. Solche Blumen stehen jungen Mädchen viel besser. Ich bin doch längst nicht mehr modern.“

Rianas Gesicht leuchtete vor verhaltener Freude.

Sie nahm die Blumen nicht an, ihr Blick folgte Adrian, der gerade zurückkam.

Sie biss sich leicht auf die Lippe und sagte sanft:

„Ursula, das wäre wirklich unpassend. Die Blumen sind doch für Sie. Außerdem sehen Sie großartig aus – von alt kann doch überhaupt keine Rede sein.“

Ursulas Augenwinkel kräuselten sich vor lauter Lächeln.

Riana wusste genau, wie man spricht – weich, passend, angenehm. Ganz anders als Adrians kühle Worte.

„Nimm sie ruhig. Die Blumen sind ohnehin für dich.“

Erst weil sie erfahren hatte, dass Riana zum Essen kommen würde, hatte Ursula spontan entschieden, Adrian solle Blumen mitbringen.

Adrian war in jeder Hinsicht hervorragend – nur emotional wirkte er wie eine weiße Fläche.

Er zeigte keinerlei Interesse an Beziehungen, und genau das machte Ursula zunehmend nervös.

Er war der älteste Sohn, der älteste Enkel, der einzige Erbe des Hauptzweigs der Familie Kaiser.

Drei Söhne hatte der alte Herr Kaiser, vier Enkel und eine Enkelin – und keiner war verheiratet.

Die Jüngeren zählten nicht.

Die Älteren aber sagten immer wieder dasselbe:

Wenn Adrian nicht heiratete, konnte keiner von ihnen es wagen, vor ihm diesen Schritt zu gehen.

Ursula hatte nur diesen einen Sohn. Sie hoffte inständig, dass er bald eine Familie gründete.

Rianas Blick ruhte unablässig auf Adrian.

Seine Ausstrahlung war außergewöhnlich, fast fern. Die Weste unter dem abgelegten Sakko ließ seine Figur perfekt wirken, jede Bewegung war von stiller Eleganz.

„Adi … darf ich die Blumen nehmen?“, fragte sie zaghaft.

„Hör auf, mich so zu nennen.“

Adrian sah zu ihr auf, begegnete ihrem geröteten Gesicht.

„Die Blumen sind nicht für dich. Wenn du welche willst, kauf sie dir selbst.“

Riana biss sich auf die Unterlippe, wirkte verletzlich – und fragte dann unvermittelt:

„Adrian … erinnerst du dich noch an Elin?“

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