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Vom Don verlassen, von der Mafia gekrönt
Vom Don verlassen, von der Mafia gekrönt
Author: Lotus

Kapitel 1

Author: Lotus
Es sollte bereits die siebzehnte Hochzeit mit meinem Verlobten Lorenz Rössner sein. Bei den sechzehn vorherigen Malen hatte er mich jedes Mal allein am Altar zurückgelassen – wegen seiner zerbrechlichen Ziehschwester Klara.

Ich hakte mich unter Lorenz’ Arm, als wir den roten Teppich betraten. Plötzlich spürte ich einen kräftigen Tritt des Babys in meinem Bauch.

„Unser Kleines kann es auch kaum erwarten.“ Er lächelte und drückte meine Hand.

Der Priester begann mit dem Ehegelübde. Alle Blicke richteten sich auf uns.

Dann klingelte sein Handy. Natürlich Klara.

Lorenz’ Gesicht erstarrte sichtbar. Seine Finger verkrampften sich unbewusst.

„Leg auf, Lorenz.“ Ich starrte ihn an.

In seinen Augen tobte ein innerer Kampf. Sein Finger schwebte über der Taste zum Ablehnen.

Der Anruf endete von selbst.

Gerade als ich erleichtert aufatmen wollte, kam sofort der nächste.

„Vicky“, flüsterte er und versuchte, meine Hand loszulassen, „es könnte ein Notfall sein. Normalerweise ruft sie nicht so oft an.“

Ich hielt fest. „Unser Kind wartet darauf, dass sein Vater ‚Ja, ich will‘ sagt.“

Seine Pupillen zogen sich zusammen. Als hätte er sich verbrannt, riss er sich los: „Aber sie ist die einzige Tochter von Onkel Markus!“

Wieder dieser Satz. Markus Roth – der Berater, der für seinen Vater eine Kugel abgefangen hatte. Sein letzter Wunsch: „Kümmere dich um Klara.“ Dieser eine Satz hatte alles zerstört.

Er zog sein Handy heraus. Als er die Nachricht vom Krankenhaus sah, überschlug sich seine Stimme: „Sie hat Schlaftabletten geschluckt!“

„Schon wieder Schlaftabletten?“ Ich lachte bitter. „Letzten Monat hat die Krankenschwester festgestellt, dass die Packung noch versiegelt war!“

„Viktoria!“ Er fuhr mich scharf an, Enttäuschung im Blick. „Onkel Markus hat vor seinem Tod…“

„Er hat dir seine Tochter anvertraut – nicht ein Messer in die Hand gegeben, damit sie auf mich einsticht!“ Ich packte seinen Kragen. „Sieh dich um! Unsere Familie, unsere Leute, unser ungeborenes Kind! Alle warten darauf, dass du ‚Ja‘ sagst!“

Das Handy klingelte zum dritten Mal. Klaras schwaches Schluchzen war zu hören: „Lorenz … rette mich …“

Lorenz’ Pupillen verengten sich schlagartig.

„Sei vernünftig!“ Er löste meine Finger, als wäre ich diejenige, die Ärger machte. „Eine Hochzeit kann man nachholen. Aber ein Leben gibt es nur einmal.“

Diese Worte kannte ich gut. Bei der sechzehnten abgesagten Hochzeit hatte er genau dasselbe gesagt.

„Lorenz!“

Meine Stimme hallte durch die Kirche. Doch sein Rücken wirkte noch entschlossener als bei den sechzehn Malen zuvor.

Geflüster breitete sich unter den Gästen aus. Manche höhnten, manche hatten Mitleid. Die meisten schüttelten nur den Kopf, als hätten sie dieses Ende vorausgesehen.

Denn bei der ersten Hochzeit war es genauso gelaufen. Klara war plötzlich ohnmächtig geworden, und Lorenz war davongerannt.

Ich war ihm im Brautkleid ins Krankenhaus gefolgt. Klara lag bleich im Bett, ihre Finger an seinem Ärmel. Und als sie mich sah, blitzte ein triumphierender Funke in ihren Augen auf.

Lorenz stand mit dem Rücken zu mir. Er hatte ihr höhnisches Lächeln nicht gesehen.

Die fünfte Hochzeit war eine kleine Zeremonie im Garten gewesen. Ich hatte den ganzen Tag in einem schlichten Kleid gewartet, ohne meinen Verlobten zu sehen. Die Ältesten tuschelten spöttisch: „Sie bringt nicht einmal eine Hochzeit zustande.“

Die alten Füchse aus Südland machten nie ein Geheimnis aus ihrer Verachtung für mich, die Frau aus dem Norden. „Was nützt all die Tüchtigkeit des Fräuleins Delbrück? Sie kann nicht einmal das Herz des Dons fesseln.“

Später nahm Lorenz mich in den Arm und tröstete mich. Beim nächsten Mal würde er mich nicht bloßstellen lassen.

Beim zehnten Mal verschwand Lorenz wieder plötzlich. Ein junger Cousin grölte am Tisch: „Hey Lorenz, heirate doch einfach beide! Die Braut und die Schwester. Spart das ganze Hin und Her.“

Lorenz warf ihm einen Blick zu – und ging, ohne sich umzudrehen.

Diesmal würde ich nicht mehr warten.

„Die Hochzeit ist abgesagt. Und es wird auch keine weitere geben.“

Die Ältesten aus Südland starrten mich fassungslos an. Sogar der alte Don, der mich normalerweise keines Blickes würdigte, hob den Kopf.

„Fräulein Delbrück“, stammelte der Priester, „vielleicht könnten wir …“

„Ich sagte: Die Hochzeit ist abgesagt.“

Der alte Don kniff die Augen zusammen: „Die Hochzeit der Familie Rössner ist nicht zu entweihen.“

Ich erwiderte seinen Blick ruhig: „Dann bitten Sie Ihren Erben zurück, damit er die Zeremonie beendet.“

Und dann – vor den entsetzten Blicken aller – nahm ich das Diadem ab. Es war ein Familienerbstück von Lorenz’ Vater, das jede Braut der Familie Rössner bei ihrem Gelübde trug.

„Nein—!“ Der alte Don sprang auf.

Zu spät.

Ich schleuderte es zu Boden. Das Geräusch der zerspringenden Diamanten ließ alle erstarren.

Als ich mich umdrehte, spürte ich eine nie gekannte Leichtigkeit.

Zurück im Schlafzimmer setzte ich mich vor den Spiegel und begann, mein Make-up abzunehmen.

Als Lorenz’ Anruf kam, hörte ich Klaras leises Lachen im Hintergrund: „Danke, Lorenz, dass du mit mir Geburtstag feierst.“

Ich musste fast selbst lachen. Sie wurde immer nachlässiger mit ihren Ausreden. Gerade noch Schlaftabletten geschluckt – und jetzt Geburtstagsparty?

„Vicky.“ Lorenz’ Stimme klang träge, ein wenig schmeichelnd. „Klara geht es gut. Wir holen unsere Hochzeit in ein paar Tagen nach, ja? Ich habe die St.-Marien-Kirche reserviert. Du hast doch gesagt, du magst die Fresken dort.“

So war er immer. Leichtfertig das nächste Mal versprechen, als könnte man alles noch retten.

„Meinetwegen.“ Ich speiste ihn ab.

Am anderen Ende der Leitung bemerkte er nichts. Sein Ton wurde sanfter: „Ach ja, was hat die Vorsorgeuntersuchung ergeben? Hat der Arzt gesagt, das Baby ist gesund?“

Ich strich sanft über meinen Bauch. „Ja, gesund.“

Er lachte zufrieden. „Gut. Wenn ich zurückkomme, werden wir …“

„Lorenz“, unterbrach ich ihn, „ist Klaras Geburtstagsfeier vorbei?“

Stille am anderen Ende. Dann sein samtiges Lachen: „Viktoria, bist du etwa eifersüchtig?“

Ich antwortete nicht. Legte auf. Zog das Flugticket aus der Schublade.

Ziel: das Hauptquartier der Nordmark-Organisation in Markburg. Es war zusammen mit der Einladung gekommen.

Auf der Einladung glänzten goldene Schnörkelbuchstaben im Lampenlicht:

„Willkommen zu Hause, Fräulein Delbrück.“
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